19 Mal habe ich mich schon dem Ötzi gestellt – und jedes Mal war es anders: zwischen 9 und 12 Stunden Qual, Regentanz, Schneeballet oder Sonnengruß, Hitzeschlacht und Bibberkrampf – alles freiwillig. Der Ötztaler Radmarathon war immer wieder ein endloses Drehbuch, das mein ganzes Leben diktiert hat. Meine 20. Teilnahme steht vor der Tür. 31. August 2025 – als wäre es ein romantisches Versprechen. Nur dass diese Beziehung weniger Kuscheleinheiten und mehr Satteldruck bietet. Freunde fragen: „Warum tust du dir das an?“ – und ich antworte mit der Würde eines Junkies, der seine nächste Dosis plant. Essen? Schlaf? Familie? Alles nebensächlich – Hauptsache, ich kann wieder 238 Kilometer lang darüber nachdenken, warum ich das alles hasse … und gleichzeitig liebe. 20x Ötztaler Radmarathon Wahnsinn. Ein kleines persönliches Jubiläum. Ich habe viel erlebt, viel gesehen und viel darüber geschrieben.
13 Stunden leidend Rennrad fahren – und dafür auch noch bezahlen
Wie Anton Palzer passend gesagt hat: „13 Stunden leidend Rennrad fahren und dafür auch noch bezahlen.“ Verrückt, oder? Den Spirit des Ötztaler Radmarathon muss man gespürt haben. Es ist eine spezielle Energie, die dich schon bei der Anreise zu Beginn des Ötztales durch den Körper sticht. Magie, die dich trägt und Flügel verleiht. Es ist der Mythos, der dich fesselt. Der Ötztaler ist keine Veranstaltung, er ist ein toxisches Langzeitverhältnis: Eifersüchtig frisst er meine Freizeit, meine Urlaube und gelegentlich meine Beziehung. Es tut weh, und das ist gut so. Während andere sich auf den nächsten Sommerurlaub freuen, notiere ich mir schon das nächste Datum, um mich erneut freiwillig an den Rand der physischen und mentalen Insolvenz zu fahren.

Der Ötztaler Radmarathon verwandelt dich
Wollen und Können sind schwer in Einklang zu bringen. Eine Beziehung, die so harmonisch ist wie Katzen und Wasser. Der Ötztaler Radmarathon Wahnsinn verwandelt dich. Vor dem Start in einen nervösen Nährstoff-Junkie, während des Rennens in ein schwitzendes, fluchendes Fossil und danach in ein weinerliches Häufchen Endorphine. Diese Erfahrung fährt dir nicht nur durch den Körper – sie tritt dir in die Nieren, brennt sich in die Oberschenkel und lässt dich am Ende mit zitternden Händen ein Finisher-Trikot entgegennehmen, als wäre es ein heiliges Relikt. Ja, es rührt dich zu Tränen – vermutlich, weil du dir schon ausrechnest, was dich diese Selbstdemontage an Ruhm und Ehre bringen wird.

Es gibt Grenzen, die man hier verschieben muss
Beim Ötztaler Radmarathon geht es um Grenzen – deine, die deines Körpers und deines Geistes. Grenzen, die man hier nicht einfach verschiebt, sondern mit dem Presslufthammer bearbeitet, bis sie sich ergeben. Wer glaubt, er kenne seine Limits, wird am Timmelsjoch eines Besseren belehrt: Dort lernt man, dass „kann nicht mehr“ nur eine unverbindliche Empfehlung ist. Und wenn du es doch ins Ziel schaffst, merkst du, dass die einzige Grenze, die wirklich überschritten wurde, die zwischen sportlicher Vernunft und blankem Wahnsinn ist.

Ein Urlaub bei Freunden
Der Ötztaler Radmarathon ist nicht nur ein Rennen – er ist ein Urlaub bei Bekannten. Und mit Bekannten. Also, mit Menschen, die dich 238 Kilometer lang bergauf jagen, sich entlang der Strecke in deinen Dienst stellen und dich am Ende herzlichst empfangen. In Sölden anzukommen ist wie zu Hause anzukommen. Die Schnellsten und die weniger schnellen werden gleichermaßen frenetisch gefeiert. Von den Mitgereisten. Aber auch von Fremden. Das Zielareal ist ein Podium der Emotionen. Hier vermischt sich der Schweiß mit den Tränen. Schmerzen werden zu Zeugen des Triumphs.
Hier endet der Ötztaler Radmarathon. Nicht jedoch die Folterfantasie, ihn wieder zu fahren. Kaum ist der Zielbogen durchquert, fängt das Hirn schon an, den Schmerz zu verklären – wie jene, die eine Beziehung beendet haben und sich nur an guten Momente erinnern wollen. Die Beine brennen noch, die Schultern schreien und der Körper weint – und doch, irgendwo zwischen Iso-Resten, wächst schon wieder die absurde Sehnsucht. Der Ötzi ist vorbei. Aber der Wahnsinn fängt gerade erst wieder n.
Fährst du wieder den Ötzi?
Nach „Willst du mich heiraten?“ kommt in meiner Welt nur noch „Fährst du heuer wieder den Ötzi?“ – und ja, beide Fragen bedeuten in etwa dasselbe: lebenslanger Vertrag mit unklaren Ausstiegsklauseln. Die Teilnahme am Ötztaler ist wie eine Ehe, nur mit mehr Höhenmetern, weniger Zärtlichkeit und garantiertem Herzrasen. Ein Mal ist kein Mal – genau wie bei einer schlechten Entscheidung, die man dann immer wieder trifft, weil man denkt: „Diesmal wird’s besser.“ Spoiler: Wird es nicht. Aber man fährt trotzdem. Bis dass der Sattel uns scheidet.

Und wie wird das Wetter?
Beim Ötztaler Radmarathon Wahnsinn – das sollte man sich hinter die Ohrmuscheln tätowieren – ist das Wetter kein banales Gesprächsthema, sondern eine launische Göttin. Es ist die Metapher, die dir ins Gesicht spuckt, wenn du glaubst, Kontrolle zu haben. Ein Test, wie weit du dich noch selbst belügen kannst, wenn der Himmel beschließt, dein Drehbuch umzuschreiben. Wer braucht schon stabile Bedingungen, wenn man stattdessen ein meteorologisches Drama in Echtzeit haben kann?
Darum: Lieber das Wetter poetisch überhöhen und philosophisch verdrehen, statt sich von Prognosen fesseln zu lassen. Denn wer zu sehr auf Sicherheit pocht, verpasst den wahren Kern des Ötztalers: Er ist kein Radrennen. Er ist eine existenzielle Naturgewalt – ein epischer Wetterporno, der dich vom ersten Tropfen bis zum letzten Sonnenstrahl auszieht.

Alles erlebt, nichts gelernt.
Was ich schon alles erlebt habe? Mehr, als sich in Finisher-Trikots zählen lässt – und ich habe es versucht. Ich war beim Ötzi in brütender Julihitze und bibberndem Spätsommerregen, habe Schneeflocken am Timmelsjoch gesehen und die Sonne am Kühtai verflucht. Ich bin Umleitungen gefahren, die länger waren als mein Geduldsfaden, und habe in Facebook-Foren Debatten über Sicherheit und Höhenmeter überlebt. Bin mit 105 km/h bergab geflogen, um mich danach mit Schwedenpillen bergauf ins Leben zurückzuholen. Ich habe Rennstrategien geplant, nur um sie an der ersten Steigung zu verwerfen, Kuchen, Kekse und heiße Suppen mit Iso heruntergespült sowie Mannerschnitten als Doping missbraucht. Ich habe neue Laufräder getestet, alte Kassetten verflucht und mich im Ziel jedes Mal gefragt, warum ich das alles eigentlich mache – um mir dann schon wieder den nächsten Starttermin einzutragen. Denn nach dem Ötztaler Radmarathon Wahnsinn ist vor dem Ötztaler Radmarathon Wahnsinn.
#ktrchts