Rennradurlaub an der Adria

Rennradurlaub an der Adria

Wir haben es wieder getan. Ich habe es getan. Wir haben Urlaub gemacht und sind Rennrad gefahren. Rund um Cesenatico, Riccione und Cattolica. Mit Meerblick am Start, mit Meerblick am Weg ins Landesinnere und mit Meerblick am Weg zurück ins Hotel. Rennradurlaub an der Adria ist ein Mix aus Nostalgie und Fortschritt. Wie damals und wie man sich es heute wünscht. Ein wenig altmodisch und trotzdem mit der Zeit. Auch wenn die Zeit hier langsamer zu vergehen scheint. Doch genau das ist der Flair.

Kein hochgezüchteter Radtourismus, kein Strava-Wahnsinn, keine Kommerz-Expo am Etappenziel, sondern Cappuccino im Keramikbecher, ein kurzes „Ciao ragazzi!“ vom Barista – und dann wieder rauf aufs Rad. Es ist die Art von Urlaub, bei der man sich zwischen Meer, Rapsfelder, kleinen Hügeln und steilen Rampen verliert. Wo man die Kilometer nicht zählt, sondern erlebt. Und wo der Weg das Ziel ist – mit allem, was dazugehört: Schlaglöcher, Cornetti, blinkende Glücksritter im Hinterzimmer und Straßen, die mehr Charakter haben als so mancher Influencer-Feed.

Hier ist Rennradfahren nicht Leistungsschau, sondern Lebensgefühl. Ein bisschen chaotisch, sehr charmant – und immer mit einer Portion italienischem Wahnsinn. Und genau deshalb kommen wir wieder. Immer wieder.

Die Hupe – Italiens akustisches Multitool

In Italien gehört die Hupe zum Standardrepertoire, wie der doppelte Espresso zum Frühstück. Sie ist Gruß, Warnung, Lebenszeichen – manchmal auch einfach nur ein Ausdruck purer Lebensfreude. Während wir noch nach dem Blinker tasten, hat der italienische Fahrer längst gehupt – sicher ist sicher. Wer lange in Italien Rennrad fährt, entwickelt das richtige Gespür. Und Gehör. Denn Hupen auf Italienisch ist nicht gleich Hupen. Es gibt ein freundliches Hupen („Passt auf, ich komme.“) und ein aggressives Hupen („Pass auf! Ich komme!“).

Koffein-Glück zum Schnäppchenpreis

Ein Espresso für € 1,20. Ein Cappuccino für € 1,60. Diese Preise sind nicht nur nostalgisch, sie sind fast schon revolutionär. Während man in Österreich über Fünf-Euro-Cappuccino klagt, prostet man sich hier mit schaumiger Milchsünde zu – und plant gedanklich schon den nächsten Stopp. Denn was wäre ein Rennradurlaub an der Adria ohne mindestens einer weiteren Kaffeepause. Bars gibt es wie Sand am Meer.

Cornetti – die süße Versuchung in Vitrinenform

Vanille, Pistazie, Marmelade, Nutella, Nougat, leer (aber trotzdem sündhaft gut): Die Cornetti-Vielfalt in Italien sprengt jeden Diätplan. Wer morgens nicht vor einer gläsernen Cornetto-Vitrine steht und eine philosophische Entscheidung zwischen „Crema“ oder „Cioccolato“ trifft, war nicht wirklich in Italien. Rennrad hin oder her – das Frühstück gehört zum Training. Und ein weiteres Cornetto zum Espresso selbstverständlich auch.

Glück im Hinterzimmer: Die Spielautomaten der Bar-Welt

Man glaubt es kaum: Selbst in der verlassensten Bar eines scheinbar ausgestorbenen Dorfs blinkt es hinten im Eck. Spielautomaten, einsam, aber hoffnungsvoll. Vielleicht ist das die wahre italienische Lotterie: Einen Fünfer reinschmeißen, und mit Glück reicht es bald für ein Carbon-Rad mit elektronischer Schaltung. Wenn nicht – Cappuccino geht trotzdem.

Straßen mit Charakter – das Kopfsteinpflaster der Moderne

Es rüttelt, es schüttelt, und manchmal denkt man, das Rennrad zerlegt sich gleich in seine Einzelteile. Die Straßen sind ein Gedicht – eins mit Ecken und Kanten. Aber irgendwie passt das. Der ruppige Asphalt erzählt Geschichten, vom letzten Giro d’Italia, von Sommerhitze und Vespa-Reifen. Italien wäre nicht Italien ohne ein bisschen Schlagloch-Romantik. Mancherorts sind die Straßen auch hier zu Hause mehr als Italien-würdig. Und trotzdem schimpft man über die Verhältnisse in Italien. Auch wenn man noch nie dort gewesen ist. Oder vor einer halben Ewigkeit.

Asphalt wie aus dem Labor

Und dann – völlig unerwartet – gleitet man dahin, als hätte jemand nachts heimlich neuen Belag gegossen. Samtig, geschmeidig, fast zu perfekt. Man fragt sich kurz, ob man noch in Italien ist oder aus Versehen in die Schweiz geradelt ist. Spoiler: Man ist noch in Italien. Manchmal wird auch hier übertrieben – sogar mit Qualität. Wichtig ist nur, nicht blind Komoot, Bikemap oder Strava zu vertrauen. Sondern einem ortskundigen Guide. Mir zum Beispiel. Dann braucht man über die Straßen nicht mehr zu schimpfen. Nur über die Länge der Tour. Aber das ist eine andere Geschichte.

Blinken als Interpretationssache

Ein Kreisverkehr. Ein Auto. Zwei Blinker. Einmal links und einmal rechts. Aber was will der Fahrer wirklich? Das bleibt oft ein Rätsel. Italienisches Blinkverhalten ist wie moderne Kunst: Jeder sieht was anderes, aber niemand versteht’s ganz. Rennradfahrer lernen schnell: Lieber auf den Blickkontakt setzen als auf die Blinkerlogik. Oder einfach: Augen zu und durch (nicht wörtlich nehmen). Kreisverkehre gibt es in Italien viele. Alle mindestens doppelt so groß, wie jene, die man hierzulande kennt. Zwei-, oft sogar dreispurig. Einen solchen und queren ist ein Abenteuer per se. Viva l’Italia.

Wetter-Apps: Digitale Orakel ohne Durchblick

Heute Sonne, morgen Regen, übermorgen Schnee? Die Wetter-App sagt „ja“ zu allem – manchmal sogar gleichzeitig. Wer sich in Italien auf eine Vorhersage verlässt, hat das Spiel schon verloren. Das Wetter macht, was es will, und die App zieht nur mit. Beste Strategie: Nach oben schauen. Oder gleich einfach fahren, denn Regen schmeckt eh nur halb so schlimm mit einem Espresso im Bauch. 

Aperitivo – das Feierabendritual für Genießer

Nach der letzten Ausfahrt, wenn die Sonne langsam über dem Meer untergeht, ist es Zeit für den Aperitivo. Campari, Aperol-Spritz oder ein kleines Bier (alkoholfrei), dazu Oliven, Chips und das zufriedene Gefühl, heute alles richtig gemacht zu haben – zumindest bis zur Pasta. Die kommt Tag für Tag, wie das Amen im Gebet. Rennradurlaub an der Adria heißt drei volle Mahlzeiten am Tag. Dazu Tischwein und Wasser. Primo, secondo und dessert vom Buffet. Garniert mit Antipasti, die eine Hauptmahlzeit locker ersetzen könnten. Die Angst zu verhungern haben meine Gäste selten bis gar nie.

Der Radmechaniker des Vertrauens (den man gar nicht kennt)

Man braucht ihn selten – aber wenn, dann ist er da. Der lokale Mechaniker mit ölverschmierten Händen, der alles kann, alles weiß und nie fragt, wie es passiert ist. Nur in Italien repariert jemand dein Rad, während er gleichzeitig einen Kaffee trinkt und telefoniert. „Officina meccanica“ nennt sich der lebensrettende BikePoint. Zu finden in fast jedem Ort. Meistens am Ortsanfang. 40er Torx inklusive für Specialized Spezial-Steckachsen. Und mit Luftkompressor. Damit man sich die Patrone erspart. Das Trinkgeld wurde dankend abgelehnt. Wir sollen uns selbst einen Espresso gönnen.

Gruppenfahrten mit einheimischen „Profis“

Man rollt gemütlich dahin – bis man plötzlich Teil eines Pelotons wird, das aussieht wie das Masters-Team des Giro. Einheimische, top ausgestattet, mit Tempo jenseits von Gut und Böse. Mitfahren? Klar. Durchhalten? Eine philosophische Frage. In San Marino leben einige Profis, die man gerne auch unterwegs trifft. Oder die „Signori“ am Sonntag. Radfahrer jenseits der 60 und 70. In Retro-Look und mit einem Lächeln im Gesicht, das zeigt, dass alles relativ ist, solange man Rennrad fahren kann.

Espresso & Benzin – Tankstellen als Rennrad-Oasen

In Italien haben selbst Tankstellen Stil. Ein schneller Caffè, vielleicht ein Panino, saubere Toiletten, Schattenparkplatz fürs Rad – und man rollt weiter wie frisch getankt. Inklusive Blickkontakt mit der Vespa-Gang am Nebentisch. Ich würde es nicht schreiben, wenn es nicht so wäre. Ein Rennradurlaub an der Adria ist immer voller Überraschungen.

Dolci und Dolce Vita – Nachtisch als Lebensphilosophie

Panna Cotta, Tiramisu, Cassata – man kann sich hier nicht nur die Beine, sondern auch den Bauch kaputt fahren. Doch wer gut tritt, darf auch gut schlemmen. So einfach ist das. Pro Woche 2 Kilo Zusatzgewicht? Keine Seltenheit. Außer die Touren arten aus. Carpegna, Passo della Spugna, Giro delle 3 Regioni, Gola del Furlo … nur um ein paar zu nennen. Rennradurlaub an der Adria geht von bis. Vom Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang.


Man könnte meinen, ich sei Italien-verliebt. Vielleicht bin ich es auch. Möglicherweise ist es aber einfach nur diese Mischung aus allem samt diesem ganz eigenen Chaos, das einem hier nie wirklich auf die Nerven geht – sondern eher ans Herz wächst. Es ist das Land, in dem man nie genau weiß, ob der Blinker gerade wirklich ernst gemeint war, aber ziemlich sicher sein kann, dass das Essen schmeckt. Ein Land, an dem selbst die Schlaglöcher irgendwie charmant wirken und der Rennradurlaub nicht in Wattzahlen gemessen wird, sondern in Gelato-Momenten. Ich komme wieder. Ganz sicher. Und das nicht (nur) wegen des Cappuccinos. Wer fährt mit zum Rennradurlaub an der Adria?

Cristian
#machurlaubfahrrennrad

Danke für die Empfehlung

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