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Granfondo Via del Sale.

Granfondo Via del Sale

Eigentlich wollte ich kein Radrennen fahren. Schon gar keine Granfondo. Ich weiß nämlich, wie ItalienerInnen Radrennen fahren. Sie fahren Radrennen. Vom ersten Zentimeter weg. Eine Gewissheit, die sich mehr als nur bestätigt hat. Schon an der Startlinie wurde ich im Stand von mehr als 20 Menschen überrollt, auf den ersten zwei Kilometern dann von mindestens weitere 1000 RadrennfahrerInnen überholt. Ganz ohne Übertreibung. Auch deshalb, weil ich als eingeladener Medienvertreter und Touristiker (ja, das gibt es) aus der allerersten Startreihe starten durfte. Die Granfondo Via del Sale hat mir einiges aufgezeigt. Ich kann Rennrad fahren, aber ich kann nicht Radrennen fahren.

Gib mir eine Startnummer und ich zeige dir, wer ich bin.

Startnummern beflügeln. Sie machen ein paar Watt aus. Sie pushen. Mit mehr als 40 km/h bin ich auf den ersten Kilometern ganz rechts ein einsames Einzelzeitfahren gefahren. Lasst mich in Ruhe, war meine Devise. Während links die Meute aufgereiht in Einserreihe an mir vorbeigerauscht ist. Eine unendliche Karawane. Gesplittet in Gruppen. Keine Chance, Anschluss zu finden und Anschluss zu halten. Männer, Frauen, Ältere, Jüngere … ItalienerInnen drücken, drücken, drücken. Nach kurzer Zeit liegen schon die ersten Flaschen am Boden. Flaschen, die der eine und andere mit dem Fuß einfach an den Straßenrand schießt. Kurz ausklicken, nach hinten schauen, Tritt – Gefahr gebannt. Bitte zu Hause nicht nachmachen.

145 Kilometer und 1800 Höhenmeter ist die Granfondo Via del Sale lang. Zu lang für dieses Tempo. Ich war ohne Pulsuhr und Wattmesser unterwegs. Hatte mich für das Leihrad entschieden. Cannondale Supersix Evo SE. Mit 32 mm dicken Reifen. Ein Traum. Speziell für dieses Rennen, wo ich kaum Zeit hatte auf die Straße zu schauen. Forlimpopoli, Bertinoro, Fratta Terme …, im Vergleich zum Rest der Fahrrerinnen bewegte ich mich wie eine als Radtourist verkleidete Schnecke.

Endlich Berg. Endlich überholen.

Dass ich kein ausgesprochener Bergfahrer bin, ist kein Geheimnis und lässt sich auch nicht leugnen. Als ich beim ersten richtigen Anstieg angefangen hatte, andere zu überholen, dachte ich mir zuerst, im falschen Film zu sein. Der Auffahrt auf den Monte Cavallo fühlte sich wie ein Triumphzug an. Eine Wiedergutmachung mit großem Ritzel. Videobeweise vorhanden. Plötzlich Radrennfahrer? Leider nein. Wunder gibt es nicht. Kaum wurde es zweistellig, hatte ich Stress, nicht vom Rad zu fallen. Ich hatte in der Schule zwar keinen Physikunterricht, weiß aber, dass wenn sich Masse am Berg zu langsam nach vorne bewegt, diese dann dank Eigengewicht nach hinten, nach links oder nach rechts fällt.

Dafür hat die Masse bergab den Vorteil, sich selbst zu beschleunigen. Die Abfahrt nach Borello war eine gute Gelegenheit, mich etwas zu erholen. Vorbei am ersten Krankenwagen und blutüberströmten Radfahrer. Ein Bild, das mich prägte und den Schalter auf Vernunft stellte. Nichts mehr riskieren.

Granfondo Via de Sale Cervia
©Sportograf

Über kurz oder lang – Radrennen fahren ist hart.

In Borello gab es die Möglichkeit, von „lungo“ auf „medio“ zu wechseln. 104 statt 145 Kilometer. Ich bog, ohne nur einen Augenblick zu zögern nach rechts ab. Lungo, verstand sich von selbst. Es waren noch 80 Kilometer bis zur Erlösung. Ab auf den Colle del Barbotto. Über den von mir noch nie gefahrenen Anstieg über Santa Maria Riopetra. Wunderschöne Straße, bester Asphalt und gemein steil. Das hatte ich jetzt davon. Das war aber nicht alles. Auch die Weiterfahrt über Montegelli war fies und gemein. Bergab ist dieser Streckenabschnitt nicht so anstrengend. Am Berg quatschende ItalienerInnen, die sich dies und das von der Seele erzählten. Als ginge es hier flach dahin, statt steil bergauf. Mit meiner Übersetzung (SRAM Rival eTap AXS 46/33 und 10/36) konnte ich gut kurbeln, kam aber trotzdem nicht vom Fleck. Jeder Versuch in den Wiegetritt zu gehen, fand mit einem Cut am Knie sein Ende. Ich hatte für meinen Geschmack einen zu kurzen Vorbau – trotz 56er-Rahmenhöhe.

Endlich Barbotto und endlich Ristoro. War die Verpflegung am Monte Cavallo mehr eine Diätkur, hoffte ich hier auf typisch italienische Sonderkost für Naschkatzen. Die Kost war besonders, aber leider nicht für Naschkatzen. Bananen, Äpfel, Marmeladenbrote, Cola und Wasser. Nicht berauschend, aber besser als gar nichts. Denn gar nichts hatte ich mitgenommen.

Fertig ist erst, wenn du fertig bist.

Ein kleines Kind hätte jetzt die Eltern gefragt, wie lange es noch bis zu Ankunft sei. Genau das habe ich getan. Es war aber mein Garmingerät, welches mir die Antwort gegeben hat. Noch über 60 Kilometer – inklusive zwei böser Anstiege. Formignano und Lizzano.

Bevor ich aber dort zu leiden hatte, musste noch die „Valle del Savio“ talauswärts gerollt werden. Wobei Rollen hier nicht das beschreibt, was auf der Strecke abgegangen ist. Es war wieder dieses typische „Hilfe, ich verliere den Anschluss“. Weil wieder geballert wurde. Jeder gegen jeden – kannte ich bis jetzt nur von Zwift.

Dann waren sie da. Die zwei kleinen und unscheinbaren Hügel. Wie eine Mauer ragten Sie jeweils von der Hauptstraße in den Himmel. Zickzack fahren war angesagt. Kurbelumdrehung für Kurbelumdrehung. Ich musste alles im Sitzen fahren. Mein Rücken hat immer noch eine posttraumatische Belastungsstörung. In guter alter „kommt Zeit, kommt Gipfel“ Manier schaffte ich beide Gipfel. Gipfel, die jeweils mit einem weiteren Labe bestückt waren. Auf der letzten gab es diesmal Nutellabrote. Bei mehr als 30 Grad in der Sonne, eine Sauerei, die über meine Finger, meinen Lenker bis auf die Schuhe geflossen ist.

Ende gut, alles halb so schlimm.

Das Ende der Granfondo Via del Sale war nur noch 40 Kilometer weit entfernt. 40 Kilometer, die ich endlich so fahren konnte, wie ich es mir vorgestellt hatte. Im Windschatten einiger, die noch genug Energie hatten, das Tempo so hochzuhalten, dass immer mehr aus der Gruppe flogen. Ich war mittendrin, statt ganz allein. Wir saugten uns an immer mehr vor uns Fahrenden an, schluckten und überholten sie. Die Gruppe wurde immer größer. Ich wusste es. Ich bin nicht schnell, aber schnell bringt man mich auch nicht um. So erreichte ich nach über 5 Stunden Fahrzeit das Ziel am Lungomare in Cervia. Ende gut, alles halb so schlimm. Denn in der offiziellen Gesamtwertung scheine ich nicht auf. Ich musste ohne Chip starten. Den hatte ich nicht bekommen. Mein ärztliches Attest wurde nicht als „agonistico“ akzeptiert.

Ich wollte kein Radrennen fahren. Bin also auch kein Radrennen gefahren. Zumindest offiziell. Es war ein sauschneller Sonntags-Gruppen-Dropride. Mit viel Lehrgeld und der Bestätigung, dass ich kein Radrennfahrer bin. Dafür fehlt mit der letzte Wille, der letzte Biss, der Mut, die Risikobereitschaft und vor allem das gezielte Training. Und wie Coach-Mario predigen würde: die Regenerationszeit.

#ktrchts