Das äußerst wellige Höhenprofil. |
25. August 2013, 6:45 Uhr. Wenn mich bis dahin der schwarze Mann mit der Sense noch nicht geholt hat, werde ich wieder am Start stehen. Mit etwas Glück. Denn offiziell habe ich wieder einmal keinen Startplatz bekommen. So wie viele andere auch. Dank an Peter Katzinger, der mit seinen Startplatz überlassen hat.
Das mit der Startplatzvergabe ist ja in Sölden so eine Sache. Offiziell heißt es ja Verlosung. Inoffiziell heißt es Geld ausgeben. Denn gewisse Kontingente an Startplätzen werden den Hotels in Söden überlassen. Wer dann 3 – 5 Tage bucht (***, ****, *****, *****S), kann sich so einen Startplatz dann auch erkaufen. Weitere Kontingente gehen an sog. Fixstarter. Das sind jene, die 3x nicht zum Zug gekommen sind. Weitere Startplätze gehen nach Italien. Der Ötztaler Radmarathon ist Teil der italienischen Prestigio Rennserie und Italiener sind in Sölden herzlichst willkommen. Und dann gibt es noch Sternfahrten und Trainingswochen. Zb. Mit Jan Ulrich. Im Hotel Central (*****). € 5.000 für Hotel, Vorträge mit J. Ulrich und ein Satz Lightweigh. Do you know what I mean?
Wurscht. Ich habe einen Startplatz. Und bin somit offiziell zum 10x dabei. 2x bereits in den 90igern. Damals ging es noch von Steinach am Brenner weg. Es muss 1995 und 1996 gewesen sein. +/-. 1 x mit meinem Basso Coral, Vento Laufräder und Chorus 9fach. Meine Übersetzung: 54/39 und 12/23. Am Kühtai (der letzten Anstieg damals) kurz nach der Brücke in Ochsenboden (steilste Stück des Anstieges) habe ich mein Rad geschoben. Denn schneller als 4 – 5 km/h war ich zu Fuß auch.
Schon damals war das Wetter der entscheidende Faktor beim Ötzi. Am Timmelsjoch habe ich mein Rad in einen Schneehaufen gesteckt – und bin einen Tee trinken gegangen. Ein anderes Mal habe ich mich am Kühtai um einen Platz in einem Besenwagen gestritten. Zitternd und verzweifelt. Die Fahrt nach Steinach habe ich halbtot knapp mitbekommen. Diese meine Steinzeit Teilnahmen sind leider nirgends dokumentiert. Social Media oder ein Foto Service waren damals noch nicht bekannt. Hätte ich erfinden sollen. Fakt ist, dass ich damals sehr viel Lehrgeld bezahlt habe. Was Material und Bekleidung betrifft.
Zurück zur Neuzeit. 2003, 2004, 2005 und 2006 war ich wieder dabei. Habe mich von 11h39 Minuten auf 10h33 Minuten abgekämpft und halbwegs verbessert. Mit 39/28 Übersetzung. Ich hatte ja gelernt. 2006 habe ich das letzte Mal aufgegeben. An der Mauer von St. Leonhard. Völlig leer und motivationslos. Ich saß da am Straßenrand. Gar nicht einmal schlecht in der Zeit. Habe 30 Minuten lang überlegt. Bis ein Bus Namens Besenwagen zuerst mich und dann mein Rad mitgenommen hat. Nach dem Rennen war es abzuholen. An der Talstation der Giggjochbahn. Mein Pinarello Prince mit Campagnolo Record. Carbongabel und Carbonhinterbau.
Kälte und Nässeschlacht 2003. |
An das Jahr 2003 erinnere ich mich auch noch. Das war das Jahr der Helden. Strömender Regen vom Start weg und saukalte Temperaturen haben mehr als die Hälfte der Teilnehmer zum Aufgeben bzw. Nichtstart gezwungen. Wir – jene die durchgefahren sind, wurden für 2004 mit einem Pre-Startplatz belohnt. Rückblickend war es eine gesundheitliche Gratwanderung. Ich habe noch nie so gefroren wie 2003 auf der Abfahrt von Kühtai nach Sellrain. Außer 2010. Das Jahr, an dem der Winter das Ötztal zu früh besucht hat. Und 2011. Wegen des Winters eben. Diesmal am Vortag und am Tag danach.
Meine letzten Teilnahmen 2009, 2010 und 2011 habe ich auch noch recht gut in Erinnerung. 2009 mit neuem Pinarello Prince und erstmals mit Kompaktkurbel (50/34 und 11/25) und einer Zeit von 9h28 Minuten. Unter den besten 1000 Männern. 2010 hingegen ging es mir wieder äußerst dreckig und ich rettete mich mit 9h55 Minuten unter die Dusche. 2011 – mein Ironman Jahr, fuhr ich dann locker meine bisherige Bestzeit mit 9h 20 Minuten nach Hause.
Was macht aber jetzt den Ötztaler Radmarathon aus? Es ist ein Hass-Liebe. Eine perfekt organisierte Veranstaltung. 4 teilweise kaum vergleichbare Anstiege. Das Kühtai gleich in der Früh im Morgentau. Der Brenner – eine Raserstrecke. Der Jaufen als Standortbestimmung. Und das Timmelsjoch als Sieg oder Niederlage. Massen an Gleichgesinnten und der ewige Kampf gegen sich selbst und gegen die Uhr. Ich könnte Bände schreiben. Über die waghalsige Abfahrt bis nach Ötz. Mit über 60 Sachen. Mitten in einem Feld von über 3.000 Teilnehmern. Über die Kotzerei am Kühtai. Wo dir das Frühstück und das Abendessen unverdaut präsentiert werden. Über die ie Abfahrt nach Sellrain, wo ich 2010 die Schallmauer von 100 km/h durchbrochen habe (104,5 km/h). Über das Taktieren von Kematen nach Innsbruck. Keiner will im Wind fahren. Vor allem die Italiener nicht. Über den Brenner. Ein mäßige Steigung, welche dich verleitet und verführt und kaum erledigt. Das machen dann der Jaufenpass oder das Timmelsjoch. Je nachdem wie sehr du dich hinauf nach Schönberg, Steinach und Gries am Brenner im Griff hast. Über den Jaufenpass. Ein Anstieg in der Mittagssonne Südtirols. Über die Abfahrt nach St. Leonhard. Mörderisch. Über die Mauer von St. Leonhard. Wo gefühlte 50 Grad kein Seltenheit sind. Über den Anstieg nach Moos und den Ansteig gleich nach dem Ort und der Rechtskehre. Über die Tunnels und das Zick-Zack-Fahren. Über den motorisierten Getränkenachschub. Tour de France Feeling. Über Schöneben. Die letzte Labe. Mit Massageservice und dem Anblick der letzten in den Felsen gemeistelten 10 km zum Portal des Timmelsjoches. Über die elend langen Rampen zwischen den Kehren genau dorthin. Über den senkrechten Blick hinunter nach Schöneben und die schneebedeckten 3000er am Himmel. Über den Tunnel, der dir sagt, dass du es fast geschaft hast. Über den Passübergang und dem Transparent, der dir bestätigt, dass du genau hier deinen Traum erfüllt hast. Über die Abfahrt zwischen den weidenden Schafen und Kühen. Über den Gegenanstieg zur Mautstelle in Hochgurgl. Verdammt tut der weh. Und letztendlich über die letzten Kilometer bis nach Sölden. Über die Einfahrt in die Dorfstraße. Über applaudierende Menschen. Über die Rechtskurve und die Brücke zum Zielbogen. Über dein Finish und über deinen Stolz es geschafft zu haben.
Ich könnte Bände darüber schreiben. Mit einem neuen Kapitel. Jenes von 2013. 25. August 2013, 6:45 Uhr. Wenn mich bis dahin der schwarze Mann mit der Sense noch nicht geholt hat, werde ich wieder am Start stehen.
Mythos Ötztaler Radmarathon.
Stay tuned.
Cristian Gemmato aka @_ketterechts.
So wie du schreibst,wünscht man sich,du würdest mal ein Buch darüber schreiben!!