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Ihr längster Tag am Rennrad zwischen 3 Ländern.

längster Tag am Rennrad

Wir schreiben den 15. August 2018. Mariä Himmelfahrt. Die festliche Aufnahme Maria in den Himmel. Was für ein Anlass, laketterechts festlich auch dort aufzunehmen. Im Himmel der Langdistanz-Rennradfahrerinnen. Ihr längster Tag am Rennrad. Minutiös geplant. Lange angekündigt. Unfallbedingt verschoben. Sie wollte unbedingt. Und dann wieder nicht. Eigentlich schon. Und dann … wie immer. Eventuell. Nicht heute. Vielleicht ein anderes Mal. “Schaffe ich das?” Diese Frage konnte ich nur mit einem eindeutigen Ja beantworten. Musste ich auch. Pädagigisch wie motivational. Bis gestern. Heute, am Tag danach, haben wir die Antwort aus sportlicher Sicht. 203,5 km zwischen drei Ländern. Chapeau und herzlich willkommen im Club.

 

Die Sinnhaftigkeit einer 200 Kilometer Ausfahrt.

Die Tage bis zum D-Day waren nicht die Einfachsten. Selten so viel darüber diskutiert. Über die Strecke, das Wetter, den Wind, den Asphalt, die Sonneneinstrahlung, die Pausen, Lokale, Schattenplätze, Brunnen, Radwege und Straßen. Eigentlich wie immer. Seit ich laketterechts zum Rennradfahren inspiriert habe. Immer wieder schwankte ihre Stimmung zwischen dem Willen, es zu wagen und der Frage nach der Sinnhaftigkeit. Sie will das Rennradfahren genießen. Das kann eine 200 Kilometer lange Ausfahrt aber nicht. Zumindest nicht nach erst zwei Jahren im Sattel. Ich erkläre ihr, dass Mann (ich) auch 400 km genießen kann. Worte, die ihr Ohr im weiten Bogen verfehlen.

längster Tag am Rennrad

Viel Abwechslung auf 200 Kilometern

“Ich entscheide in der Früh kurzfristig”. laketterechts liebt es, mich zappeln zu lassen und sich alle Türen offen zu halten. Auch weil bei ihr das Wort kurzfristig sehr dehnbar ist und auch dann noch gilt, wenn ich bereits fertig bin und am Rad sitze. “Soll ich mitfahren?” Wo andere winken und sich verabschieden, sucht sie noch nach ihren Antworten.

Gestern haben wir dieses Prozedere auf das nächste Level gehoben. Ich schon am Treffpunkt. “Wo ist Sonja?” Sie kommt heute nicht mit. Entsetzen bei der einzig verbleibenden Dame. Es ist schon fünf nach Startzeit. “Das geht nicht.” Diplomatie, Verhandlungsgeschick, Gruppendruck, Schlechtes-Gewissen-Einreden. Gut, wenn man ein Handy hat. Nach dem Befehl zum Dresscode gelb und ein paar Minuten Bedenkzeit, erscheint laketterechts dann doch. So schnell langsam hat sie sich noch nie entschieden können. Und müssen.

Ihr längster Tag am Rennrad. Mein längster Tag.

Ihr längster Tag am Rennrad beginnt mit der Suche nach dem GPS Signal. Sie, die Garmin und Strava anfangs missachtete, kämpft darum, protokolliert zu werden. Karma? Bitte nicht dieses Thema. Wir brauchen ganze 13 km, bis ihr Garmin aufzeichnet. Eine Ewigkeit. Mit großer Auswirkung auf den Rest des Tages. Hätte laketterechts dieses Zeichen erkennen sollen?

200 Kilometer. Drei Länder. Österreich. Slowakei und Ungarn. Nach Norden, dann nach Osten, dann nach Süden und am Ende wieder nach Westen. Bei starkem Nordwest-Wind. Die Windparty war angerichtet. Rudi, unserer Dienstältester, hatte die Route vorgeschlagen. Dem Track und seiner Anwesenheit sind wir gefolgt. Blind. Und im vollsten Vertrauen. Gespannt auf die eine oder andere Überraschung. Man kennt sich.

längster Tag am Rennrad

Rudi’s Touren bieten viel Abwechslung

Mit 250 bis 270 Watt im Wind und gegen den Wind. Bis Bratislava feiern wir keinen Kindergeburtstag. laketterechts nach ihrem Sturz nicht mehr so gruppensicher, fährt freiwillig hinterher. Das kostet sie Kraft. Das kostet mich Kraft. Zwischen den Alpha-Tieren vorne und uns beiden hinten, immer und immer wieder ein böses Loch für die Psyche und die Muskelkraft. Es sei nicht ihr Tag, hat sie gesagt. Es war auch nicht ihr Tag. Das sage ich. Wenn der Kopf nicht will, wollen auch die Beine nicht mehr. Eine alte Weisheit wird zur Wirklichkeit. “Ich hätte heute zuhause bleiben sollen”. Lustlos und lautlos stellt sie sich ihrem Schicksal. Die Off-Road Passagen und Zick-Zack-Fahrten rund um Bratislava, tragen kaum bis gar nicht bei, ihre Stimmung zu heben.

Nach 90 km erstmals für kleine Mädchen.

Ein Unglück kommt selten allein. In Bratislava lassen wir die Schleife in, auf und rund um den Stadtpark aus. Essen und eine damenadäquate Klopause sind lebensnotwendig. Beides stillen wir im La Crema an der Promenade in Bratislava. Insgesamt verweilen wir dort über eine Stunde. Eine kaum interpretierbare slowakische Speisekarte und ein ewig auf sich warten lassendes Essen bremsen uns dramatisch ein. Dabei werden kleine Wunden geleckt. Seelische wie auch körperliche. Die Einöde Ungarns noch vor uns. Ist der Magen voll, fährt es sich besser. Zumindest war das die Hoffnung.

längster Tag am Rennrad

Pause im la crema

Endlich wieder freie Fahrt und die Freude auf weitere 110 km. Diesmal mit Rückenwind entlang der Donau und ihren Seitenkanälen. Die Gegend ist schön. Die reichen Slowaken trumpfen am Ufer mit villaähnlichen Häuserbooten auf. Naturbelassen ist hier nicht nur die Gegend. Auch der Donauradweg ist es. Eine Ansammlung von Sprungschanzen. Wurzeln, die knapp unter der Asphaltoberfläche kreuz und quer in die Höhe wachsen und den Boden heben. Niemandem von uns macht es Spass, hier mit über 30 km/h darüberzuspringen. Am wenigsten laketterechts. Es ist ja nicht ihr Tag. Ihre Frohnatur findet hier kaum Entfaltung.

 

Windig und flach. Das pannonische Bergland.

Irgendwo und irgendwie verschwinden wir nach Ungarn. Mit € 5 plündern wir eine Bäckerei. Die restlichen zwei Dosen Pepsi black und der halbe Kühlschrank Mineralwasser gehen in unser Eigentum über. Noch circa 70 km bis zum Ende. Wir stehen bei Kilometer 129. Der Gegenwind macht sich jetzt breit und die pannonische Ebene wird zum gefürchteten Bergland. Sonja blickt skeptisch auf ihren Garmin. “Wie soll ich mich motivieren, wenn mir am Display 13 km fehlen.” Was höre ich da? Wird da jemand noch ehrgeizig und lässt die Variante B, im Zug die letzten 35 km gemütlich sitzend zu verbringen, sausen?

längste Tag am Renrnad

Wo geht’s hier nach Hause?

Auch wenn es ihn noch nicht gibt. Ich habe ihn erfunden. Den Garmin mit Sprechfunktion. “Noch 50 km bis Eisenstadt”. Gleichzeitig kümmere ich mich darum, die steilen pannonischen Pässe zu ebnen. Die eine und andere zärtliche Berührung, um ihr Vorwärtskommen zu unterstützen und versteckt zu beschleunigen erlaube ich mir. Auch weil “vorne” Tempo gemacht wird. Irgendwas hat die Alpha-Tiere gestochen. Knapp 40 km vor Eisenstadt, in Weiden am See, werden in Enzos Bistro unsere Reserven ein letztes Mal aufgefüllt. Einige wählen einen weißen Sprizer, andere Apfekuchen oder Toast. Ich spreche dann ein offizielles “Zugverbot” aus. Somit ist es fix. Alle werden die 200 Kilometer zu Ende fahren. Ohne wenn und aber.

 

Eine lange Rennradreise und sie hat mein Ziel erreicht.

Bei leichtem Seitenwind rollen wir die letzten Abschnitte Richtung Geschichte. Mit kleinem Umweg zum Eisbullen, später direkt in die Selektion Burgenland vor dem Schloss Esterhazy. Unserem Startpunkt knappe 9 1/2 Stunden zuvor. Am Radweg zwischen Trausdorf und Eisenstadt fällt die magische Schallmauer. Wir haben unser Ziel erreicht. laketterechts hat mein Ziel erreicht. Sie quittiert das mit einem Lächeln. Mehr Emotion ist nicht von ihr zu erwarten. Erst nach einem Sommerspritzer und Wulka-Prosciutto realisiert sie, was sie gerade erreicht hat. Weil wir mit ihr erst über die Sinnhaftigkeit philosophieren mussten. Jene Sinnhaftigkeit, die sie während der gesamten Fahrt und lange davor gesucht hat. Und eigentlich jetzt immer noch sucht.

längster Tag am Rad

Der Augenblick.

Warum also 200 Kilometer und knapp acht Stunden mit dem Rennrad durch die Gegend strampeln? Gute Frage. Was macht das für einen Sinn? Es ist nicht das lange Sitzen am Rennrad. Das tut weh. Das schmerzt. Arme, Rücken, Zehen, Beine, Oberschenkel. Es geht vielmehr um dieses ganz spezielle und einzigartige Gefühl danach. Die Gewissheit, solche Distanzen schaffen zu können. Ganz nebenbei wirken ab sofort kürzere Ausfahrten nie mehr so bedrohlich. Bis auf unseren gemeinsamen 300er.

ktrchts

PS: Zum Schluss das Beste zum Tag. Am Abend war laketterechts unzufrieden mit sich selbst. “Ich weiß, dass ich schneller hätte fahren können”. Hat sie gesagt.

PS2: Danke Kerstin, MikeB, Siggi und Rudi für die Geduld und für’s Mitfahren.