HELDENHAFT. Es gibt wohl nur dieses Wort, um den Tag aller zu beschreiben. Lauter Helden bei der quaeldich Schweiz Rundfahrt 2014.
Wie gestern angekündigt hat sich das Wetter genau an die Scheiße gehalten, welche uns vorausgesagt wurde. Regen, Regen, Regen. Die ganze Nacht hat es in Pontresina geschüttet. Aber der Reihe nach. Machen wir einen Zeitsprung. Gestern Abend im Sporthotel Pontresina.
Beim abendlichen Briefing wurden uns Optionen angeboten. Optionen, den Scheißtag irgendwie zu überstehen. Plan A: die gesamte Strecke so zu fahren wie das Roadbook es will. Plan B: mit dem Zug von Pontresina nach Tirano und dann von dort auf den Passo Stelvio. Verkürzte Strecke mit satten Höhenmetern. 63 zu 2.300. Der Vorteil: weniger Abfahrten (eigentlich nur eine ganz kleine) und somit weniger Gefahr. Rauchende Köpfe unter den Teilnehmern. Das Abendessen wurde zum Denksport, weil jede Variante seine Tücken hatte. Wie soll die Räthische Bahn ca 40 Rennradler mitnehmen, werden doch in der Schweiz Gruppen ab 10 Personen nicht mit ihren Velos befördert? Wie überlebt man die Fahrt vom Hotel zum Bahnhof trocken? Wie verbringt man 120 Minuten im Zug? Und vor allem, wie fahren sich 2.300 HM bei Regen, Wind und kalten Temparaturen?
Aufgrund der Tücken schmiedeten manche schon eigene Pläne. So stand eine Verlängerung des „Urlaubes“ (Wellness) in Pontresina zur Diskussion. Mit anschließendem weiterreisen nach Bad Ragaz oder Zernez, um wieder zur Gruppe dazuzustoßen. Auf jeden Fall hatten viele (inklusive mir) schlaflose Nächte.
Erneuter Zeitsprung. Heute Morgen. Es regnete. Für Plan A meldeten sich ein paar freiwillig. Ein paar wenige. Für Plan B ettliche mehr. Den Plan C (Verlängerung des Urlaubes) kam auch zur Geltung. Und ich? Ich hebte mir einen eigenen Plan aus. So bestellte ich mir zusammen mit 4 anderen ein Taxi. Von Pontresina zum Passo Stelvio. Ich bin ein Star, und habe mich deshalb hier rausgeholt. Über Zernez, den Ofenpass und den Umbraila. Gute, denn so konnte ich mir die Strecke für morgen gleich einprägen. Wie fahren ja da runter (unter den Ofenpass rauf). Was mir in Erinnerung geblieben ist: Wasserbäche die Straße runter, Felsstürze und verdammt steile Rampen.
Ich kann deshalb nicht über die Qualen und die Leiden jener berichten, die sich die Etappe heute angetan haben. Jene, die bei Regen den Weg zum Stelvio gefunden haben. Die Bilder zeigen, wie ungemütlich es hier derzeit ist und den ganzen Tag war. Während ich hier sitze und blogge, kommen peau a peau die letzten Wagemutigen hoch. Schade, dass ich deren Blick nicht einfangen kann. Endorphine sind das keine. Es bläst ein eisiger Wind. Die Fahnen stehen horizontal. Der Regen kommt auch waagrecht daher. Die Wolken hängen weit herunter. Mir wird kalt nur vom zuschauen.
Chapeau. Egal ob jetzt die volle Distanz gefahren wurde oder die verkürzte Variante gewählt worden ist. Helden sind sie alle. Auch jene, die es bevorzugt haben nicht zu fahren. Selbsteinschätzung ist sehr wichtig bei solchen extremen Bedingungen. Ganz ehrlich. Ich selber hatte die ganze Nacht bauchweh. Und habe unter meiner kuscheligen Daunendecke gefroren. Deshalb auch der Entschluss nicht aufs Rad zu steigen.
Morgen soll’s wieder besser werden. Hoffen wir. Tag 5 soll uns wieder gnädig sein. Mit Temperaturen um den Gefrierpunkt am Morgen. Den leichten Schneefall, den nehmen wir nicht für bare Münze. Das ist wohl eine Erfindung der Winterindustrie hier am Passo Stelvio. Es soll Leute geben, die hier Ski fahren wollen. Und heute nicht konnten. Wegen des Wetters. Lagerkollerei Deluxe, wenn ich mich hier umschaue.
Fazit: Rennradler sind keine Fußballer. quaeldich ist nicht nur ein billiger Slogan sondern eine innere Einstellung. Der Sommer kann ich Hochgebirge ziemlich gnadenlos sein. Mir fehlen ein paar km und Höhenmeter.
Also dann. Gott ist kein Pinarello Fahrer. Das tut mir sehr leid. Denn dadruch verpasst er etwas:
Stay tuned.
Cristian Gemmato aka @_ketterechts