Schlagwort: Radfahrer

Der Mittelfinger für Radfahrer ist männlich.

Mittelfinger für Radfahrer

Halbwegs flott war ich unterwegs. Bei brütender Hitze am Weg zurück nach Hause. Die Tageskilometer waren noch nicht dreistellig. Meine Route sollte mich über Pottendorf nach Hornstein und dann zurück nach Eisenstadt bringen. Ich fahre die Badener Straße entlang und an der Ecke Schlosstraße sehe ich schon von links kommend ein Auto auf mich zukommen. Der Fahrer hatte dieselbe Intention wie ich. Er wollte auch nach Pottendorf. Auf gleicher Höhe biegt das Auto mit hoher Geschwindigkeit links auf die Badener Straße Richtung Ortszentrum ab. Das geht sich nicht aus, denke ich und bremse abrupt ab. Der Autofahrer muss sich das Gleiche gedacht haben und fährt trotz Nachrang zum Glück statt mich um auf der Gegenfahrbahn mit durchdrehenden Reifen und hoher Geschwindigkeit weiter. Mit entsprechender Mimik und Gestik signalisiere ich dem Fahrer, dass er gerade ein grobes Foul begangen hatte. Prompt war der ausgestreckte Mittelfinger für Radfahrer durch das offene Fenster da.

Frustkübel auf zwei Rädern.

Vor ein paar Tagen bekam ich den Mittelfinger für Radfahrer sogar durch ein offenes Schiebedach gezeigt. Weil ich jemanden gebeten hatte, beim Überholen mehr Abstand einzuhalten. Damit erhöhte sich die Statistik um eine bis dato noch nicht erlebte Facette. Keine Ausfahrt mehr ohne Zwischenfälle dieser Art. Schneiden, Drängeln, zu wenig Abstand oder inhaltsleere und aus der Luft gegriffene Belehrungen. Mittlerweile betrachte ich den „Stinkefinger“ in meine Richtung als höchste Anerkennung für das, was ich mache. Anscheinend gelingt es mir, Ventile zu öffnen, Autofahrern Druck zu nehmen und sie zu von ihren Lasten zu befreien.

Mein Rennrad und ich als Therapiemöglichkeit für Menschen, die speziell beim Autofahren mit ihrem Leben hadern. Ich als willkommener Frustkübel und schlechte Laune-Staubsauger. Gestern zum Beispiel werde ich bei derselben Ausfahrt von einem Pickup geschnitten, der mir die Vorfahrt genommen hatte. Um einen Zusammenstoß zu vermeiden, bog ich statt geradeaus zu fahren rechts ab. Vom Pickup hörte ich noch, wie mir zugerufen wurde, ich solle doch gefälligst mit der Hand das Abbiegen anzeigen. Ich Trottel. Ob es dem Fahrer in seiner Täter-Opfer-Umkehr dann besser gegangen ist, kann ich nicht sagen. Therapieergebnisse sind mir nicht bekannt.

Ein anderes Mal ist es ein grauer VW Sharan mit Anhänger, der mir trotz Stopp-Tafel von rechts kommend vor die Nase fährt. Beim Ausweichen schüttle ich nur den Kopf. Eine männliche, nicht sachgemäß befestigte Ladung im Anhänger schreit mir zu, ich solle gefälligst bremsen. Ich Trottel. Fotobeweis vorhanden.

Arschkarte Rennradfahrer.

Frustration und Aggression sind im Straßenverkehr an der Tagesordnung. Vieles stimmt nicht mehr im Miteinander. Es wird gemeckert, gepöbelt, rebelliert und die Luft wird an anderen ausgelassen. Möglichst dort, wo es am einfachsten ist und am wenigsten schmerzt. Im eigenen Auto. Geschützt durch eine stabile Karosserie, viel Knautschzone, Airbags und technischen Assistenzen, die einem das Gefühl geben, unverwundbar zu sein. Was bringt (zwingt) aber jemanden dazu, sich im Straßenverkehr einen schwächeren als Prellbock auszusuchen? Anders ist es nicht zu erklären. Warum eigentlich ich als Rennradfahrer? Warum soll ich mich ständig f*****? Ich will doch nur meine Ruhe und meinem Hobby nachgehen. Dort, wo es mir gestattet ist und es auch Sinn macht. Dabei teile ich gerne die Straße, weil ich weiß, dass sie nicht mir allein gehört. Ich beanspruche ja nur einen kleinen Teil davon. Rechts außen am Straßenrand. Manchmal etwas mehr links, wenn es meiner Sicherheit dient. Alles erlaubt. Dass ich der Schwächste bin, weiß ich und ist mir auch bewusst.

Die Arschkarte habe ich trotzdem. Ich bekomme Scheibenwischwasser mit Zitronengeschmack gespritzt, darf Huporgien ertragen, müsste mich immer wieder in Luft auflösen, werde gezwungen für andere zu bremsen und darf mich ja nicht aufbuddeln. Wehe, ich benutze einmal nicht den Radweg oder fahre rechts an stehenden Autos vorbei. Auch darf ich nicht auf einen Bus klopfen, der mich seitlich knapp verfehlt. Verständnis muss ich aufbringen, für Autofahrer, die es eilig haben und mich nach dem Überholen ausbremsen, um eine Einfahrt zu erwischen. Im Kreisverkehr sollte ich am besten warten, bis alle hinter mir fahrenden Autos vorgefahren sind. Am wenigsten darf ich Autofahrern andeuten, die Geschwindigkeit zu reduzieren, um für mehr Sicherheit zu sorgen oder Landwirten auf riesigen Traktoren „ihren“ Güterweg streitig machen.

„Wos is?“ Einsicht männlicher Autofahrer.

Leider unterhalte ich keine Statistik darüber, wann, wo und wie mir wer bei meinen Ausfahrten mit dem Rennrad in die Quere kommt. Der ausgestreckte Mittelfinger ist aber eindeutig männlich. Auch sind Männer hinterm Steuer viel aggressiver und sie handeln mit Vorsatz. Freitagnachmittag sind sie am gefährlichsten. Als Fahrer von (Linien)Bussen, zudem brandgefährlich. Frauen sind hingegen einsichtiger, manchmal auch verständnisvoll. Den Mittelfinger hat mir eine Frau noch nie gezeigt. Männer hingegen wollen immer recht haben und recht behalten. „Wos is?“ und „Hob di eh gsehn“ sind des Wieners zarte Versuche, einsichtig zu wirken.

Eigentlich könnte und sollte mir das alles egal sein. Ist es aber nicht. Weil wenn uns (RadfahrerInnen) das alles egal wäre, dann wäre das unser Untergang. Es gibt die StVO (§ 68) mit ihren unzähligen Novellen, die niemand kennt. Ein schwammiges Konstrukt von Normen und Regeln, die viel Interpretationsspielraum lassen. Nichts ist schwarz auf weiß – man muss schon zwischen den Zeilen tanzen, um als Radfahrer Schutz und Recht zu finden. Mühsam ist das Ganze. Teilweise aussichtslos. Weil es oft an Solidarität untereinander fehlt. „Warum fährst du auf der Straße?“ „Reg dich nicht auf.“ „Selbst Schuld.“ Nicht nur Autofahrer reagieren empört.

Verkehr ist selten fair.

Ich brenne fürs Rennradfahren und genieße diese Zeit. Zeit, die ich brauche. Um mich zu spüren. Da passiert so viel. In meinem Kopf und in meinem Körper. Ich komme weit, sehe viel und sammle dabei Kraft. Paradox, oder? Kraft aufwenden, um Kraft zu tanken. Leider muss ich damit leben, mit meiner Leidenschaft anderen in die Quere zu kommen. Sie zu stören. Lästig zu sein. Solange ich ungeschoren davon kommen, lebe ich auch gerne damit. Gut sogar. Sobald ich aber um meine Gesundheit fürchten muss, wird es eng (und laut). Ist es wirklich meine Aufgabe im Straßenverkehr für die Stärkeren mitzudenken? Sie vor Unheil zu schützen? Und mir dabei auch noch vieles Gefallen lassen muss? Wie es aussieht, ja. Da wird sich wohl nichts ändern. Ich fahre jetzt los und freue mich auf die nächsten Mittelfinger.

#ktrchts

Warum immer diese depperten Radfahrer?

diese depperten Radfahrer

Radfahrer-Bashing scheint ziemlich in Mode zu sein. Die Gesellschaft braucht wohl dringend einen Sündenbock. Für alles was auf unseren Straßen so nicht läuft. Und im eigenen Leben vieler. Zur Ablenkung. Immer diese depperten Radfahrer. Was sind das für Trotteln. Echt jetzt. Fahren alle bei rot über die Ampel. Alle meiden Sie die extra für sie errichteten Fahrradwege. Sie behindern Fußgänger auf Gehwegen. Sind rücksichtslos, frech und arrogant. Und sie fahren tratschend nebeneinander zum nächsten Kaffee. Auf öffentlichen Straßen. Furchtbar. Radfahrer sind das moderne Hass-Objekt der Begierde. Die Abels unter den Verkehrsteilnehmer. Und ein Ventil für frustrierte Zweispurer. Aber warum immer diese depperten Radfahrer?

Über Radfahrer wutbürgern ist in Mode.

Anstoß für diesen Blogbeitrag war und ist ein Artikel von Tom Drechsler, inthronisierter Chef der Auto-Bild. Ein Netzfund. Herr Drechsler schreibt darin, dass es ihm reicht. „Radfahrer sind nun mal die schwächeren Verkehrsteilnehmer. Es würde helfen, wenn sie sich auch so benehmen.“ Zitat Ende. Dass der Chef einer von der Autoindustrie am Leben erhaltenen und finanzierten Zeitschrift nicht über „seine“ Autofahrer wutbürgern wird, ist logisch. Dass Herr Tom Drechsler seine schlechte Laune an den Radfahrern auslassen muss, ist fad, substanzlos und populistisch.

diese depperten Radfahrer

Was hat Herr Tom Drechsler geraucht?

Wobei ich gestehen muss, dass mir der Artikel und die Worte von Herrn Drechsler echt am A… vorbeigehen. Verhalten eines Profilierungsneurotikers und Reichweitenjägers, der seinen Schäfchen billigen und gepanschten Fuselwein einschenken muss. Süchtige brauchen Stoff. Und den liefert er. Viel mehr sind mir die vielen Reaktionen auf diesen Artikel fremd. Zum Beispiel bei Facebook. Scheint, als müsste unsere Gesellschaft keine gröberen Probleme lösen. Wenn ich mir das genau durchlese – und das habe ich gemacht, bekomme ich die Gewissheit, dass draußen potentielle Mörder herumrennen. Menschen, die öffentlich (ja, soziale Medien sind öffentlich) zugeben, den einen oder anderen Radfahrer am liebsten „niederzumähen“ zu wollen. Geht’s noch? Wird sind nicht beim Tatort. Das ist real life.

Diese depperten Radfahrer. Weg von der Straße.

Lustig ist das nicht. Und lustig ist es auch nicht, wenn große Brands wie sixt Autovermietung, sich demselben Spielchen anschließen. Auf die Schwächeren draufhauen, ein altbewährtes und probates Mittel, die Schuld von sich zu weisen. Warum sixt? Selber ein Urteil bilden. Mag sein, dass dies eine kreative Idee ist, mit der sich Kreativagentur und sixt Geschäftsführung selbst befriedigen und sich gegenseitig auf die Schulter klopfen.

diese depperten Radfahrer

Aufruf zum Radfahrer-Killen?

Egal wie man es nimmt, dreht und wendet. Das Problem dieser depperten Radfahrer sind nicht die depperten Radfahrer, sondern die Deppen. Die Trotteln. Guido Tartarotti hat das 2013 bereits in seiner Kolumne im Kurier treffend formuliert. „Der Fahrradtrottel ist kein Trottel, weil er Rad fährt – sondern weil er ein Trottel ist. Er ist es auch dann, wenn er nicht Rad, sondern Auto fährt oder ganz etwas anderes tut. Die Tatsache, dass das Fahrrad auch von Trotteln benutzt wird, macht es noch nicht zu einem schlechten.“ Das sollte man Herrn Drechsler einmal zeigen. Vielleicht sieht er die Welt dann etwas anders. Nicht nur aus seiner Vergaser- und Selbstzünder Brille.

Gesellschaftlich hilfreich wäre es auch, wenn sich zudem die anderen Wut-Fuzzis aus den sozialen Netzwerken Tartarottis Worte zu Herzen nehmen könnten. Die intelligenter angehauchten würden möglicherweise dabei erkennen, dass nicht diese depperten Radfahrer das Problem unserer Gesellschaft sind, sondern sie selbst.

ktrchts

PS: Ein auf Harry G. machender Marco Wagner tanzt da nicht aus der Reihe. Auch die Reaktionen auf sein Video im Netz.