Eigentlich bin ich ja kein ehrgeiziger Mensch. Eigentlich muss ich mich mit niemandem messen. Weder mit mir selbst noch mit anderen. Eigentlich finde ich, dass Leistung generell überbewertet wird. Im Leben allgemein und beim Radfahren speziell. Deshalb habe ich auch nie verstanden, warum ihn sein erster Weg nach einer Ausfahrt nicht in die Dusche, sondern zum Computer geführt hat. Ich habe auch nie verstanden, warum seine Augen zu leuchten begonnen haben, so als stünden fünf verschiedene Geburtstagstorten gleichzeitig vor ihm, wenn er das Ergebnis seiner hochgeladenen Daten betrachtet hat. Ich habe auch nie verstanden, wie es sein kann, dass eine kleine goldene Krone auf dem Bildschirm eine solch enorme Anziehungskraft auf einen erwachsenen Mann ausüben kann. Eigentlich habe ich dieses Teufelszeug Strava nicht verstanden.
Zuerst Hochladen. Dann duschen.
Du musst auch deine Daten aufzeichnen und speichern, hat er gesagt, alles, was nicht aufgezeichnet worden ist, bist du in Wirklichkeit nie gefahren und alles, was nicht in (auf) Strava landet, existiert auch nicht. Ich glaubte, meinen Ohren nicht zu trauen. Hatte er das tatsächlich gesagt? Glaubte er diesen Schwachsinn wirklich? Strava. Aus seinen Erklärungen schloss ich, dass es sich hierbei um eine Art heilige Kuh der Radsportler und Triathleten handeln müsse. Um eine Plattform, deren einziges Ziel das Messen und Vergleichen ist. Ein Facebook für Sportler, bei dem Likes Kudos heißen.
Das brauche ich sicher nicht, meine Antwort. Schon der Gedanke daran, meine gefahrenen Kilometer und Höhenmeter zu sammeln, so wie ein Eichhörnchen Nüsse sammelt, und schlimmstenfalls auch noch mit denen anderer zu vergleichen, hat mich Stresshormone ohne Ende ausschütten lassen. Ich bin Genussradfahrerin. Und Rennradprinzessin bin ich sowieso. Da brauche ich nicht noch ein zusätzliches Krönchen von Strava.
Teufelszeug Strava – wenn man nur aufhören könnte.
Eineinhalb Jahre habe ich mich gewehrt. Eineinhalb Jahre habe ich mich geweigert, dieser mir im höchsten Maße suspekten Plattform beizutreten. Eineinhalb Jahre habe ich auf die erstaunte Frage vor SportkollegInnen, ob ich denn gar nicht bei Strava sei, stolz geantwortet: Nein, und ich werde auch nie beitreten. Denn das bin nicht ich. Und ich muss immer ich sein.
Und dann kam alles anders. Wie immer eigentlich. Schuld daran war eigentlich der letzte Sommer. In jenem Sommer habe ich mich in unserem Urlaub erstmalig auf deutlich höhere als burgenländische Berge gewagt. Ohne Radcomputer. Wie ich dachte. Als ich damals jedoch mein Rad in Betrieb nehmen wollte, entdeckte ich einen auffälligen Fremdkörper am Lenker. Einen Radcomputer. Seinen Radcomputer. Er hatte seinen alten Garmin an meinem Rad montiert. Nur zum Testen, hat er gesagt. Widerstand zwecklos.
Ich habe also getestet. Und war überrascht. Nie hätte ich es für möglich gehalten, dass Bäume sogar mit 30kmh und mehr an einem vorbeifliegen können. Nie hätte ich gedacht, dass Steigungen in Prozenten gemessen, derart abartige psychologische Prozesse in Gang setzen können. Nie – wirklich nie, hätte ich gedacht, dass ich so ein Ding jemals haben wollen könnte.
Widerstand ist zwecklos. Rennradreisen mit Strava.
Und dann, ein paar Tage später hatte ich es. Dieses Ding. Mein eigenes. Er hat es irgendwo für mich erstanden. Und nicht nur das. Nun warf ich auch noch den Rest all meiner Prinzipien über Bord und meldete mich in einer Nacht- und Nebelaktion bei Strava an. Irgendwo mussten ja schließlich meine unzähligen Daten ihren Platz finden. Das Teufelszeug Strava hatte mich.
Gleich vorweg. Mein erster Weg nach einer Ausfahrt führt mich in die Dusche. Immer noch. Mein zweiter Weg führt mich in die Küche. Immer noch. Mein dritter Weg führt mich auf die Couch. Immer noch. Bis dahin hat er schon mindestens dreimal gefragt, ob ich meine Daten schon hochgeladen habe. Und je ungeduldiger er ist, umso langsamer werde ich. Irgendwann verbinde ich dann den Garmin mit dem Computer. Damit er endlich aufhört zu fragen.
Manchmal beginnen meine Augen dann angeblich zu leuchten. Ziemlich sehr sogar. Zumindest drei Geburtstagstorten glutenfrei. Sagt er jedenfalls. Er glaubt dann immer einen ursächlichen Zusammenhang mit dem ein oder anderen goldenen Krönchen oder dem ein oder anderen Pokal auf dem Bildschirm zu erkennen. Aber er liegt natürlich falsch.
Denn eigentlich bin ich ja kein ehrgeiziger Mensch. Eigentlich will ich mich mit niemandem messen. Doch zu meinem Entsetzen tue ich das.
laktrchts
PS: Mittlerweile verbindet sich mein Garmin mit Strava in seinem Sinne sofort. Kabellos. Und ich bekomme nach dem Duschen gleich seine Analyse und Auswertung meiner Ausfahrt.
Die Drachenwand im Hintergrund schaut super aus.
Ich kenne den Spruche nur zu gut, und trotzdem bin ich immer noch ein Strava-Verweigerer. Bin neugierig, wann (und ob) es sich bei mir ändert.
LG Robert
Hi Strava ist wie ein Messer. Du kannst dich (und andere) damit verletzen, oder dir einfach nur eine Scheibe Wurst oder Brot abschneiden 😉
Netter Artikel u interessante Wendung.
War aber klar, bei diesem (Ober)-Lehrer. 😉
Gibt es so etwas wie Strava nur mit mehr Offenheit?
Wie sieht es mit der Exportmöglichkeit @ Strava eigentlich aus?
[…] längster Tag am Rennrad beginnt mit der Suche nach dem GPS Signal. Sie, die Garmin und Strava anfangs missachtete, kämpft um’s Protokoll. Karma? Bitte nicht dieses Thema. Wir brauchen […]
[…] oder eine ganze Schar von Wasserträgern – ohne einer dieser Hilfen ist der beliebte Strava KOM Ritterschlag kaum mehr zu holen. Vielleicht da und dort, wenn man sich ein Segment selbst […]