Nasskalt. Die Temperatur knapp über dem Gefrierpunkt. Unendliche pannonische Weiten eingehüllt in Nebelschleier, die Bäume, Weingärten und Dorfsilhouetten umarmen. In der Ferne ein neongelber Punkt. Vorne. Das ist er. Und ein neonrosa Punkt. Hinten. Das bin ich. Eisprinzessin am Rennrad. Auf unseren Rennrädern rollen wir durch die winterliche Landschaft. Wir haben den gemütlichen Platz auf der Couch neben dem Ofen aufgegeben. Er freiwillig. Ich weniger. Seine Überredungskünste sind groß. Und manchmal zugegebenermaßen gut.
Radbekleidung macht eine Winter-Rennradfahrerin.
War schon das Rennradfahren im Sommer anfangs eine große Herausforderung für mich gewesen, so konnte ich dem Rennradfahren im Winter gedanklich gar nichts abgewinnen. Noch weniger konnte ich mir allerdings vorstellen, in meinem Wohnzimmer indoor Trainingskilometer abzuspulen. Dazu bin ich viel zu sehr Frischluftfanatikerin und Naturliebhaberin. Wenn ich mich draußen bewege, habe ich das Gefühl, dass mein Tun über den reinen Sport hinausgeht. Ich nehme wahr. Mit meinen Sinnen. Ich komme zu mir. Mein Kopf wird frei.
Also ließ ich mich von ihm einkleiden. Überschuhe, Handschuhe, Haube, Winterhose, Winterjacke. Sein Glück und mein Glück, dass er zufällig in puncto Radbekleidung an der Quelle saß. Und sitzt.
Dermaßen gut ausgerüstet startete ich also motiviert meine Karriere als Winterradfahrerin. Die ersten kalten Novembertage zeigten mir jedoch rasch, dass die Ausrüstung noch so gut sein konnte, meine Finger und Zehen aber immer frieren würden. Trotz zusätzlicher Wärmekissen. Zumindest zu Beginn jeder Ausfahrt.
Wie ich zur Eisprinzessin am Rennrad wurde.
Wenn ich mich dann lange genug bewegt habe und der Körper warm ist, werden schließlich auch Finger und Zehen warm. Und bleiben dann warm. Meistens. Zumindest wenn die Sonne scheint. Zumindest so lange ich mich anstrenge. Ich hätte es nie für möglich gehalten, aber im Winter fahre ich aus diesem Grund richtig gerne bergauf. Am liebsten würde ich ewig bergauf fahren und mich dann oben von einem Taxi abholen lassen.
Denn Abfahrten und weniger bewegungsintensive Phasen verändern die Lage abrupt. Lange Abfahrten im Winter bringen mich regelmäßig an meine Grenzen. Manchmal sind meine Finger dann so klamm, dass ich kaum mehr schalten kann. Und mein Gesicht ist so unbeweglich, dass ich nicht einmal mehr Grimassen schneiden kann, die meiner Verzweiflung gerecht werden.
In solch einer Situation bietet er mir dann immer seine Handschuhe an, von denen er denkt, dass sie besser seien. Ich lehne dann immer dankend ab. Einerseits weil ich nicht auch noch meine Handschuhe in der Kälte wechseln möchte. Und andererseits gefallen mir seine neongelben nicht. Sie passen schlicht und einfach nicht zu meinem Outfit. Schönheit muss offenbar wirklich leiden.
Wo der Schnee, auch ein Wille. Sein Wille.
In dieser Situation erzählt er mir dann auch immer von seinen unzähligen Ötzi-Regen-Erlebnissen. Er ist stets sehr darum bemüht, mir glaubhaft zu vermitteln, dass auch er schon gefroren habe. Dass auch seine Finger schon klamm gewesen seien. Und dass er mich ausnahmsweise wirklich verstehe. Dein Körper muss sich daran gewöhnen, sagt er dann.
Und er hat vermutlich recht. Zumindest ein bisschen. In diesem Winter bin ich sehr viele Kilometer gefahren. Teils auf dem Rennrad. Teils auf dem Crossbike. Ich war kein einziges Mal krank. Nicht einmal ein kleiner Schnupfen hat mich besucht.
Natürlich hatte ich nicht immer Lust. Natürlich hat er mich dann motiviert. Oder die Winterliga des Radsporttreffs, bei der jeder gefahrene Kilometer und Höhenmeter gezählt haben. Die meisten Ausfahrten haben Spaß gemacht. Anderen Spaß als im Sommer, aber Spaß. Manche Ausfahrten haben weh getan. Manchmal auch erst danach unter der heißen Dusche. Wenn eingefrorene Gliedmaßen wieder zum Leben erwacht sind.
Und dennoch. Dieses Gefühl, das entsteht, wenn man nach einer Ausfahrt im Winter mit müden Gliedern zugedeckt bis zur Nasenspitze auf der Couch neben dem Ofen sitzt, heißen Tee trinkt und über den Buchrand hinweg den Blick durch das Grau hinter der Fensterscheibe schweifen lässt, ist unbeschreiblich. Und dieses Gefühl alleine ist es mir wert, im Winter draußen zu radeln. Als Eisprinzessin am Rennrad. Denn SommersportlerInnen werden im Winter geformt. Hat er gesagt.
laktrchts