Natürlich war es seine Idee. Seit Jahren versuchte er sie davon zu überzeugen mitzufahren. Sie zu animieren, als Burgenländerin die eigene Heimat mit dem Fahrrad zu entdecken. Von Nord nach Süd. Entlang des burgenländischen Teils des Iron Curtain Trails, dem Euro Velo 13. Von Kittsee nach Szentgotthárd in Ungarn. Viele Kilometer entlang der österreichischen und ungarischen Grenze. Natürlich hatte er es geplant. Nach ihren Wünschen und Bedürfnissen. Drei Etappen mit einer oder mehrerer Exit-Strategien. Vielleicht, eventuell, eher nicht, aber möglicherweise doch. Ihre Motivation schwankte, je näher die Abfahrt kam. Bikepacking im Burgenland war dann doch ihr Premieren-Abenteuer, bei dem am Ende alles anders kam, als gedacht.
Ein Radabenteuer direkt vor der Haustür.
Die Originalstrecke des Iron Curtain Trails ist im Burgenland ca. 300 Kilometer lang und eignet sich perfekt zum Radwandern, oder besser gesagt fürs Bikepacking. Start ist Kittsee, das man sehr gut öffentlich erreichen kann. Von Wien zum Beispiel über Parndorf oder von Eisenstadt, mit einem Umstieg. Das war auch ausschlaggebend bei der Planung. Keine Anreise mit dem Auto und auch keine Heimreise. Klimaschonend, versteht sich. Deshalb wurde auch die Option gewählt, von Szentgotthárd in Ungarn über Sopron und dann Wulkaprodersdorf retour zu fahren. Ein ganz spezielles Abenteuer. Aber dazu später.
Wenn er und sie verreisen, scheiden sich bei der Startzeit nicht nur die Geister, sondern viel mehr Bedürfnisse und vor allem Gewohnheiten. Sie braucht immer etwas Zeit sowie mindestens zwei Frühstücksmöglichkeiten. Da Züge selten ihre Abfahrtszeit flexibel gestalten und warten, kann es schon vorkommen, dass er (der Autor) in seiner Überpünktlichkeit in Anbetracht ihrer Lässigkeit etwas nervös wird. Vor allem dann, wenn er ihr beim Anbringen der Packtasche deshalb unter die Arme greifen muss, weil sie trotz Empfehlung und Aufforderung, es ein paar Mal vor Reiseantritt selbst zu versuchen, nicht nachgekommen ist (und nachkommen wollte). Wer schon einmal eine „Arschrakete“ (Sattel-Packtasche) montiert hat, weiß, dass das unter „Druck“ gerne etwas länger dauern will. Ende gut, alles fest. Es konnte losgehen. Für alle, die wissen wollen, welche Satteltasche benutzt wurde: Toppeak Backloader 10L. Auf eine Lenkertasche wurde verzichtet.
Grenzenloses Radwandern.
In Kittsee bekommt man schnell einen Vorgeschmack auf das, was der Iron Curtain Trial zu erzählen hat. Nicht unweit des Bahnhofes befindet sich der Grenzübergang zur Slowakei. Trotz Kontrollen kann man problemlos aus- und einreisen. Das war nicht immer so. Diese Freiheit ist Goldes wert und nicht selbstverständlich.
Wer in Kittsee das Bikepacking im Burgenland startet, der kann sich auf einiges freuen. Die ersten Kilometer sind eher flach. Gut zum Einrollen. Je nach Wind kann sich dieses flach ganz schön steil anfühlen. Und der Wind ist hier täglich Freund oder Feind. Auch wenn er nicht bläst. Er weht immer. Am Plan standen zuerst 80 km bis Wallern. Angedacht war eine Aufwärmetappe. Diese wurde aber rasch verlängert und mit Mörbisch am See als Etappenzielort sollte nach 135 km erst einmal Ruhe einkehren. Am Weg dorthin ging es kreuz und quer durch das pannonische Flachland. Vorbei an der östlichsten Gemeinde Österreichs (Deutsch-Jarndorf), den berühmten Pannonia Fields (Nova Rock Areal – 4 Tage nach dem Festival), patrouillierenden Grenzsoldaten mitten in der Pampas und der geschichtsträchtigen Brücke von Andau. Der erste Streckenabschnitt war ein Ausstieg aus dem Alltag und ein Einstieg in die Geschichte des Burgenlandes. Die grüne Grenze, ein Privileg, welches noch ziemlich jung ist.
Trotz des ungünstigen Windes, kamen sie und er gut voran. Einzig die Suche nach durststillender Wasserstellen oder Radlerrastmöglichkeiten gestaltete sich etwas komplizierter. Dafür waren die vielen Fronleichnam-Prozessionen eine willkommene Abwechslung. Blumenkorsi inklusive. Im Burgenland wird Tradition groß gelebt.
Das Abenteuer am Ende der Straße.
Korn, Wein, Gemüse. Der Seewinkel liefert entlang der Strecke einiges an kulinarischen Schmankerln. Namhafte Produzenten sind hier heimisch. Scheiblhofer, Zantho, Perlinger-Gemüse, Erich & Priska Stekovics Paradeiser, Biobauer Göltl, um nur einige zu nennen. Vielleicht hätte er mehr Zeit einplanen sollen, die eine oder andere Jause zu gustieren. Doch der enge Zeitplan war der Wettervorhersage zu schulden. Die Gewitter am Nachmittag waren nämlich fix angesagt, wie das Amen im Gebet.
Auf Genuss wurde trotzdem nicht verzichtet. Der ungarische Teil des Iron Curtain Trails nach der Brücke von Andau bietet nämlich grenzenloses Gravel-Feeling. Genau so stellt man sich das vor. Feinster Schotter und eine unberührte Landschaft. Dahingleiten und das melodische Knirschen des rauen Untergrundes aufsaugen. Bikepacking im Burgenland fängt oft erst am Ende der asphaltierten Straße an.
Flexibles Timing ist alles.
Der Iron Curtain Trail ist perfekt ausgeschildert. Nur in Ungarn muss man sich etwas umorientieren. Hier ist die Beschilderung anders. Die blaue 13 (Euro Velo 13) mit den gelben Sternen erleichtert die Wiedererkennbarkeit. Man soll sich aber entscheiden: GPS Track oder Beschilderung. Denn nicht immer sind beide einer Meinung.
Nach nicht einmal drei Stunden hatten sie und er den Seewinkel hinter sich gelassen. Nahe Apleton wurde nochmals Ungarn „betreten“. Bis Mörbisch. Quasi die Hausstrecke von den vielen Neusiedlersee Umrundungen. Im Winter wie im Sommer. Ein Wechselspiel zwischen perfekt glattem Radweg, Wurzel-Jumping und wieder feinstem Schotter. Danach war Mörbisch in Sicht und die schwarzen Gewitterwolken auch. Bei Kaffee und Kuchen wurden dann der ursprüngliche Plan über Bord geworfen. Warum 20 Kilometer von Zuhause entfernt übernachten? Eben. Ab nach Hause. Welches nach 154 Kilometern erreicht wurde. Duschen, essen, Wäsche waschen und schlafen. Dass sie und er 154 Kilometer weit umsonst das Gepäck mitgeschleppt haben, war zu diesem Zeitpunkt schon ein Thema. Auch der heftige Wolkenbruch, welcher um Bruchteile einer Sekunde vermieden wurde. Flexibles Timing ist alles.
Auf den Spuren der Freiheit.
Tag zwei. Wennschon, dennschon. Also, wer an einem Tag 154 Kilometer fahren kann, der sollte es auch an zwei Tagen hintereinander wollen. Etappenzielort für Tag zwei war also Deutsch-Schützen. Eine Vorreservierung der Zimmer hatte sie nicht für notwendig gehalten, weil laut booking.com ja noch genug Zimmer frei gewesen sind. Ein Irrtum, wie sich später herausstellen wird.
Der Iron Cutrain Trial wurde in der Siegendorfer Puszta genau dort wieder betreten, wo er tags zuvor verlassen wurde. Wieder Hausstrecke über Schattendorf nach Ungarn. Hier an der Grenze ist der Eiserne Vorhang noch ganz. Zumindest Teile davon. Zum Angreifen.
Sopron selbst wurde umfahren. Schade, denn die Altstadt ist sehenswert. Dafür sollte man sich auch Zeit nehmen. Unbedingt. Wer das nicht tut, ist schnell in Harka und verlässt nach wenigen Kilometern ungarisches Staatsgebiet, um nahe Neckenmarkt wieder österreichischen Boden zu befahren. Willkommen Blaufränkischland, willkommen Mittelburgenland. Ab jetzt wurde es zwischen den Weinbergen hügeliger. Horitschon, Raiding (keep on Raiding!), Kleinwarasdorf, Kroatisch Minihof, Nikitsch Lutzmannsburg und Frankenau waren schnell erreicht und bei Klostermarienberg fing ein Abenteuer im Abenteuer an.
Aufgrund einer fehlenden Beschilderung ging es auf einer gut asphaltierten Straße in den Wald. Als plötzlich die Straße zu einem schmalen Trail voller Wurzeln wurde, kam langsam das Gefühl auf, möglicherweise falsch zu liegen. Die Wette, dass hier noch nie zwei Radwanderer unterwegs waren, hätte jeder locker gewonnen. Nach einigen links rechts Kombinationen im Nirgendwo und einem laut aufschreienden Garmin war mit viel Glück und Zufall die Originalstrecke wieder gefunden. Die Abfahrt nach Köszeg nur mehr eine Draufgabe mit Downhill-Flair. Endlich eine verdiente Pause. Nur wenige Kilometer vor dem Etappenzielort. Etappenzielort, dessen Unterkunft dann doch nicht mehr buchbar war. Sie hatte sich verkalkuliert. Er war nicht erstaunt darüber.
Wenn das Herz vor Freude schottert.
Plan B und C wurden diskutiert. Durchfahren oder woanders stoppen? Durchfahren barg Risiko, denn der Anschluss in Sopron würde wackeln. AB 20 Uhr fährt von hier kein Zug mehr Richtung Wien. Woanders stoppen ja, aber wo. Viel war nicht frei. Weder Bett+Bike, noch radfreundliche Unterkünfte. Einzig booking.com war gewillt, ein Doppelbett anzubieten. Weit im Süden. Sie und er mussten in die Verlängerung. Nach 157 Kilometern war Hagendorf im Süburgenland dank der perfekten Unterstützung eines wohlgesinnten Nordwindes erreicht. Für Tag drei blieben also nur mehr 40 Kilometer übrig. Ein Kindergeburtstag? Er glaubte es und sie vertraute ihm. Der Abend im Südburgenland begann mit Uhudler-Spritzer für sie und Traubensaft für ihn. Dazu regionale Schmankerl und zu guter Letzt Schomlauer Nockerln. Eine Süßspeise aus dem Nachbarland.
Die wohlverdiente Nachtruhe startete anschließend weich gefedert bei offenem Fenster und lautem Zirpen und endet von der Sonne wachgeküsst.
Das Beste kommt immer zum Schluss.
Tag 3. Die Pflicht war getan. Die Kür sollte folgen. Zuerst führte die Route durch das malerische Kellerviertel in Heiligenbrunn, dann noch ein paar Mal perfide auf und ab bis Inzenhof. Mit frischen und ausgeruhten Beinen, war das keine Hexerei. In Inzenhof endet der burgenländische (und österreichische) Teil des Iron Curtain Trail. Wer aber jetzt aufhört (oder Richtung Heiligenkreuz im Lafnitztal abbiegt) verpasst das Beste zum Schluss. Das ist anfangs der idyllische Weg zur St. Emmerichskirche und dann die Weiterfahrt nach Szentgotthárd.
Zuerst war es ein first class Gravel-Genuss durch einen schattigen Wald bei einstelligen Steigungsprozenten. Ein wahrer Bilderbuch-Streckenabschnitt. Wie aus dem Schotterlehrbuch. Dann der verlassene Grenzübergang und die Kirche selbst. An Kitsch kaum zu überbieten. Ein großes Tüpfelchen auf dem i. Ganz großes Kino. Wäre da nicht noch ein letzter Twist gewesen. Eine dramatische Wendung in Form einer steilen Abfahrt und einer anschließenden kaum enden wollenden Steigung. Auf groben Steinen im wohl abgelegensten Teil Ungarns. Nur ein kleines Euro Velo 13 Schild gab ihm die Sicherheit, hier durchzumüssen. Und sie hatte keine andere Wahl, als ihm zu folgen. Stein um Stein. Millimeter um Millimeter. Dicke und lästige Gelsen um dicke und lästige Gelsen.
Beiden ging jetzt einiges durch den Kopf. Vor allem die Gewissheit, dass es keine gute Idee gewesen wäre, die Tour am Vortag noch zu Ende zu fahren. Das wäre sich so nie ausgegangen. Wer weiß, wann man beide wieder gefunden hätte.
Ende gut. Burgenland am Rande durchquert.
So unterschiedlich beide sind, so unterschiedlich wurde die Situation angenommen. Er akzeptierte dieses Teilstück als Prüfung und Challenge, während sie etwas vorsichtiger agierte und erst am Ende dieses Irrweges ihr unverwechselbares Lächeln samt gesunder Gesichtsfarbe wiedergewinnen konnte. Ende gut, alle unten. Die letzten Kilometer bis zum Bahnhof in Szentgotthárd waren anschließend unspektakuläres, von Neugier geprägtes Rollen. Nach drei Tagen und mehr als 350 Kilometern war das Abenteuer Bikepacking im Burgenland hier zu Ende.
Der Rest der Geschichte beinhaltet eine knapp zweistündige Zugfahrt nach Sopron, ein Umstieg und eine Weiterfahrt nach Wulkaprodersdorf, um am Ende noch 10 Kilometer mit dem Rad nach Eisenstadt anzuhängen. Ein kleines Detail am Rande. In Sopron gibt es Zugtickets nach Wulkaprodersdorf nicht am gewöhnlichen Schalter, sondern am internationalen Schalter. Eine Glastüre weiter.
#ktrchts
Das war Bikepacking im Burgenland:
Iron Curtain Trail Burgenland: ca 300 km
Start: Kittsee
Ende: Szentgotthárd
Anreise: per Bahn nach Kittsee
Abreise: mit der Bahn über Sopron zurück (Wien, Wiener Neustadt, Eisenstadt …)
Unterkünfte: Bett + Bike oder gastfreundliche Unterkünfte
Burgenland Card: Ab 1 Übernachtung in ausgesuchten Betrieben – beinhaltet auch die BurgenRADland Pannenhilfe
Radauswahl. Gravel
Highlights: Schloss Kittsee, Schloss Halbturn, Brücke von Antau, Sopron, Raiding (Fanz Liszts Geburtsort), Therme Lutzmannsburg, Köszeg, Grenzerfahrungsweg Bildein, Kellerviertel Heiligenbrunn, St. Emmerichskirche