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Rennradsturz mit Folgen. Für Körper und Psyche.

Rennradsturz

Es hätte mein erster 200er werden sollen. Von Linz nach Wien. Eingebettet in seine 400k-Ausfahrt zur Sonnenwende. Hätte. Denn bei Kilometer 98 ist es passiert. Mein erster heftiger Sturz. Ein Rennradsturz mit Folgen. In der Gruppe. Wie bei der Tour de France. Nur etwas kleiner. Nicht schön anzusehen, hat er gesagt. Nicht gut anzufühlen für mich und für andere in der Gruppe. An den genauen Unfallhergang erinnere ich mich nicht. Alles viel zu schnell. Auf jeden Fall bin ich kopfüber vom Rad gestiegen. Mein Kinn hat den Asphalt geküsst. Und einige andere Teile meines Körpers haben es ihm gleichgetan. Und wie es eben so ist bei Stürzen in der Gruppe, hat jeder von jedem etwas abgekriegt. Die einen mehr, die anderen weniger. Ich ziemlich viel. Und doch weniger, als möglich gewesen wäre. Zum Glück.

Eine nette Rennradreise mit Tatütata.

Du schaust nicht gut aus, hat er gesagt und sein sorgenvoller Blick hat mich Schlimmes ahnen lassen. Auch die Blutflecken auf meinem Trikot und mein schmerzendes Kiefer haben nichts Gutes verheißen. Es war die erste Fahrt mit der Rettung in meinem Leben. Und wären nicht der Schock so groß und meine Verletzungen so schmerzhaft gewesen, hätte ich sie vermutlich ein kleines bisschen mehr genossen. Währenddessen hat er sich um mein ebenso verletztes Rad gekümmert und ist damit – selbst fahrend und mein Rad schiebend – 12 km zu mir ins Krankenhaus gefahren. Rettungen nehmen keine verletzten Rennräder mit.

Im Krankenhaus dann Entwarnung. Alle Knochen sind heil. Prellungen, Stauchungen, Abschürfungen, Rissquetschwunden, aber keine Brüche. Ich durfte noch am selben Abend nachhause. Meine Kinder waren froh, mich in Gedanken halbwegs heil in die Arme schließen zu können. Praktisch war eine Umarmung aufgrund meines Zustands leider nicht möglich.

Rennradsturz

Sichtlich mitgenommen

Du musst nach einem Rennradsturz so schnell wie möglich wieder aufs Rad, hat er gesagt, glaub mir. Ich habe versucht, ihm zu glauben, aber mein Körper hat auch zu mir gesprochen. Und er hat eindeutig die besseren Argumente gehabt. Zumindest eine Zeit lang. Meine Zeit lang. Anfangs habe ich Speisen nur im pürierten Zustand zu mir nehmen können. Ich lernte schnell zu improvisieren. Mein Speiseplan bestand aus Hummus, Hummus und zwischendurch auch noch etwas Hummus. Er wollte mir sogar vieles vorkauen. Aber so weit habe ich es nicht kommen lassen. Ich habe stattdessen begonnen, Chips zu lutschen. Zum Wein natürlich. Das hat gut getan. Und trotz all dieser Widerlichkeiten war ich jede Sekunde dankbar, dass nicht mehr passiert war. Der Radsturz hätte viel schlimmer ausgehen können.

Rennradsturz mit kleinen Folgen.

Meine erste Ausfahrt nach meinem Unfall hat mich viel Überwindung gekostet und ist kein Genuss gewesen. Auch die zweite, die dritte, die vierte und die fünfte waren mehr Überwindung als Genuss. Irgendetwas hatte sich verändert. Dieser eine Tag hatte viel verändert. Ich fühlte mich plötzlich verletzlich. Verwundbar. Unsicher. Mit weichen Knien und einem mulmigen Gefühl im Bauch habe ich Kilometer für Kilometer absolviert. Jede Unebenheit auf der Fahrbahn hat mich in Angst versetzt. Hinter ihm zu fahren, war eine große Herausforderung. Hinter anderen zu fahren schier unmöglich. An eine Gruppenausfahrt gar nicht zu denken. Geschwindigkeit, die ich zuvor so geliebt hatte, war plötzlich eine Bedrohung für mich. Das Vertrauen in meine Fähigkeiten erschüttert. Der Schreck hatte sich in all meinen Gliedern breitgemacht, hatte meinen Körper und meinen Geist geflutet.

Und das Schlimmste nach dem Rennradsturz: Ich hatte scheinbar den Spaß verloren. Diese große, unbändige Lust aufs Radfahren war wie ausgelöscht. Da half auch der mich freudig begrüßende Fahrtwind nicht. Ich hatte das Gefühl, dass alles, wofür ich brannte, mir genommen worden war. Würde das jemals wieder anders werden?

Es wird anders, hat er gesagt, ich weiß es, es braucht nur Zeit. Zeit. Der heilsamste Faktor von allen. Beim Radfahren wie sonst im Leben.

Rennradsturz

Alles wird gut

Radlerinnen sind hart im Nehmen.

Ich bin also drangeblieben. Ich bin weitergefahren. Und ich fahre weiter. Dank seiner motivierenden Beharrlichkeit und meinem festen Willen, meine Angst besiegen zu wollen und zu können. Ich weiß mittlerweile auch, dass es wieder anders wird. Ich spüre, dass es anders wird. Zaghaft breitet sich Vertrauen aus. Vorsichtig kommt der Mut zurück. Die letzte Ausfahrt hat schon beinahe ein kleines bisschen Spaß gemacht. Und die gestrige Krone hat mich schon ziemlich gefreut.

la ktrchts