„Sie san a a Radlfoahrarin, gö?“ Der mitleidige Blick der Supermarktkassiererin wandert über meine Oberarme. Bevor ich noch reagieren kann, ihre Erklärung: „Mei Maun schaut a so aus…“ Ertappt. Aber wenigstens von einer, die sich offensichtlich auskennt. Von einer, die mit meinen Bräunungsstreifen etwas anfangen kann. Sympathische Frau. Sehr sympathisch.
Anders als jene, die mich oft durchdringend mustern oder jene, die mir verstohlene Blicke zuwerfen und sich überlegen, in welchem fernen Land und in welchem Badekostüm ich wohl Urlaub gemacht habe.
Tan lines – oder wie er sagt: Formbräune.
Der einen Fluch, des anderen Segen. Schon die erste Sonneneinstrahlung im April nach einer Kurz-Kurz-Ausfahrt versetzt ihn in helle Aufregung. Seine Augen beginnen zu blitzen und er freut sich wie ein Schneekönig, wenn er sieht, dass die Sonne ein gutes Werk getan hat. An seinen Oberschenkeln. An seinen Oberarmen. Sogar die sich abzeichnenden Ränder seiner Socken findet er attraktiv. Er nennt so etwas Formbräune. Und er ist immer hellauf erstaunt, wenn ich das nicht genauso sehe.
Während er seine tan lines kultiviert, darauf achtet, dass jede Radhose richtig abschließt, dass jedes Trikot, die scharfe Linie fördert, seine Streifen stolz vor sich herträgt und sie und sich bewundern lässt, suche ich von der ersten Frühlingsausfahrt an fieberhaft nach Möglichkeiten, die sich anbahnenden, schier unabwendbaren Schönheitsmakel so unauffällig wie möglich ausfallen zu lassen. Sonnenschutzfaktor 50 ist mein ständiger Begleiter.
Meine Bräunungsstreifen als Visitenkarte.
Doch all meine Bemühungen sind leider erfolglos. Spätestens Ende Mai sehe ich genauso wie er aus. Und fast noch ein bisschen schlimmer. Weil ich nämlich als Burgenländerin schneller braun werde als er, der Italiener. Ziemlich braun.
Dann beginnt es kompliziert zu werden, mein Leben. Als wäre es nicht schon anstrengend genug, in der Früh die passende Kleidung für den Tag zu finden, verschärfen meine Bräunungsstreifen die Situation im Frühsommer dramatisch. Der eine Rock überhaupt zu kurz. Der andere Rock im Sitzen zu kurz. Das Kleid ebenso. Das nächste würde passen, gefällt mir aber nicht. Habe ich unten endlich die passende Länge gefunden, beginnt das Drama von Neuem. Kaum ein Oberteil in meinem Kasten, das lang genug ist, um diese störenden Streifen an meinen Armen zu verdecken. Und dann kommt er ins Zimmer. Unterbricht meine Ankleidezeremonie kopfschüttelnd und ohne jegliche Empathie für mein Kernproblem. Warum um alles in der Welt ich denn so kompliziert sei, fragt er. Er, der jeden Tag in Jeans und T-Shirt oder Hemd das Haus verlässt. Er, der lediglich in der Badehose seine tan lines der ganzen Welt präsentieren muss. Ich werfe das Handtuch. Angle mir irgendein Leiberl und irgendeinen Rock und setze mich zum Frühstück.
Sie san a Radlfoahrarin, gö?
Wenigstens mein Sockenproblem fällt in diesem Sommer geringer als im letzten aus. Weil ich mich nämlich bereits im Frühling entschieden habe, mit sehr kurzen Socken zu fahren. Also zumindest keine störenden Sockenränder mehr. Sehr zu seinem Leidwesen. Du setzt dich über all meine internationalen Rennrad-Style-Regeln hinweg, wenn du kurze Socken trägst, hat er gesagt. Es reicht, wenn ich sonst überall aussehe wie ein Streifenhörnchen, meine Antwort.
Letztens waren wir auf einem Sommerball. Ich im Ballkleid. Schulterfrei. Das bedarf wohl keiner weiteren Erklärung. Ich will endlich ein ärmelloses Trikot. Meiner Forderung gibt er aber nicht nach. Das gehe nicht. Wir seien keine Triathleten, sagt er dann. Seine Kollektion hat nichts übrig für Ästhetinnen wie mich. Ganz im Gegenteil. Die Trikotärmel werden immer länger. Die Radhosen auch. Ihn inspirieren die Radprofis. Nicht ich.
In einem Freibad bin ich heuer noch nicht gewesen. Nur an einem See. Ich im Bikini ist noch schlimmer als ich im Ballkleid. Für Ausgleichsbräunungen im Liegestuhl fühle ich mich mittlerweile zu alt. Die Zeiten des ewigen Sonnenbadens sind vorbei. Der Schutz meiner Haut ist mir wichtiger als eine durchgehende Bräune. Das Dilemma ist also nicht zu lösen. Nur anzunehmen. Und das tue ich.
Fakt ist, er findet mich schön mit Streifen. Zumindest das ist beruhigend. „San Sie a Radlfoahrarin?“, fragt er schelmisch grinsend, während ich vor dem Spiegel das zweite Oberteil probiere. Dann schaue ich auf seinen Kopf, lache über seine, durch Sonne und Helm verursachten, Alienstreifen und bin glücklich, dass ich keine Glatze habe. Und darüber, dass Bräunungsstreifen derzeit mein größtes Problem sind.
la ketterechts