Die Verlockung ist wieder einmal viel zu groß. Der Zwang auch. Ich lechze süchtig danach. Was sind schon 500 Kilometer in acht Tagen? Wäre da nicht der besondere Zeitrahmen zwischen 24. und 31. Dezember. Mitten im Weihnachtszauber. Die Rapha Festive 500 sind, wie alle Jahre – eine irrationale Sehnsucht, eine sportliche Trotzreaktion auf Besinnlichkeit, ein stählerner Mittelfinger an Lebkuchenlähmung und Feiertagsfieber. Während andere Kerzen anzünden, zünde ich die Oberschenkel an. Während Christbaumkugeln glänzen, glänzt (oder friert) bei mir der Schweiß auf der Stirn. Und während Mariah Carey zum tausendsten Mal die Liebe besingt, flüstert mein Garmin nüchtern: „Noch 317 Kilometer.“
Ja, ich weiß, es ist verrückt. Und ja, ich mach’s wieder. Denn irgendwo zwischen Gans, Geschenkpapier und Graupelschauer wartet sie auf mich: Die eine, große Zahl – 500.

Was oder wer sind die Festive 500?
Die Festive 500 – das ist nicht einfach nur eine Radfahr-Challenge. Das ist ein saisonales Leiden. Eine Art sportlicher Adventskranz mit acht Kerzen aus Schweiß, Frost und innerer Zerrissenheit. 500 Kilometer. Acht Tage. Zwischen Heiligabend und Silvester. Während andere sich durch Raclette-Pfännchen und Plätzchendosen arbeiten, treten wir uns durch Wind, Wetter und Weihnachtsverwandtschaft. Egal ob draußen im Schneeregen oder drinnen auf der Rolle mit Netflix im Hintergrund – Hauptsache, die Kilometer zählen. Und sie zählen. Immer.
Die Idee stammt aus dem Hause Rapha, anno 2010 – als ein gewisser Graeme Raeburn beschloss, zwischen Truthahn und Feuerwerk mal eben 500 Kilometer zu fahren. Warum? Weil vernünftig offensichtlich keine Kategorie in seinem Trainingstagebuch war. Was damals als persönliche Spinnerei begann, wurde zum viralen Schneeball – mittlerweile kugeln sich zehntausende Radsüchtige jedes Jahr in die Festive-Hölle.


Eine Challenge, so sinnlos wie sinnvoll
Ein Wahnsinn, der zusammenschweißt. Ein Geschenk an uns selbst – nur halt mit brennenden Oberschenkeln statt Schleife drum. Denn wer die Festive 500 fährt, verschenkt nicht nur seine Zeit, sondern gewinnt: Geschichten. Erfrierungen. Unverständnis. Und dieses eine, magische Insta-Posting am 31. Dezember, der sagt: Geschafft.
Es ist die sinnloseste, aber gleichzeitig die sinnvollste Challenge des Jahres. Ohne Festive 500 wären die Weihnachtsfeiertage anders. Stressfrei. Familiär. Besinnlich? Unvorstellbar. Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wie das je einmal gewesen sein konnte. Ich habe zu Hause mehr Festive-Abzeichen als Christbaumkugeln. Und jedes einzelne erzählt eine Geschichte – von klammen Fingern, gefrorenen Trinkflaschen und Runden, bei denen der einzige Lichtblick der Rückweg war.
Ohne die Festive 500 wäre Weihnachten für mich nur halb so festlich – und doppelt so faul. Während andere in der Couch versinken, suche ich nach der regenfreien Stunde. Während das Festmahl dampft, dampfe ich noch auf der Rolle. Und wenn am Abend alle satt und selig sind, zähle ich nicht Kalorien, sondern Kilometer.

Tausche Gemütlichkeit gegen Grenzerfahrung
Es ist ein Tauschgeschäft: Gemütlichkeit gegen Grenzerfahrung. Vanillekipferl gegen Wattwerte. Und obwohl ich jedes Jahr schwöre, es diesmal wirklich nicht wieder zu tun, sitze ich doch wieder im Sattel – am 24. Dezember, zwischen Geschenkechaos und Gänsebraten. Mit einem Ziel vor Augen: Fünfhundert. Denn irgendwo zwischen Wahnsinn und Willenskraft liegt diese Challenge – und sie macht mich jedes Jahr ein kleines Stück stolzer, verrückter und irgendwie … weihnachtlicher.
Ich brauch’s. Wie der Fisch das Wasser, wie der Garmin das GPS-Signal, wie Swifties ihr nächstes Album, wie Influencerinnen den nächsten Sonnenuntergang. Ohne würde ich vergammeln. Platzen. Aus den Nähten. Wie könnte ich sonst meine Schwäche für Panettone kompensieren? So ein Ding hat 450 Kalorien pro 100 g. Das sind bei einem Kilo – und mal ehrlich, wer hört vorher auf? – satte 4.500 Kalorien. Also locker 100 Kilometer. Mindestens.
Soll ich deswegen verzichten? Auf Genuss, auf Tradition, auf das fluffige Glück mit Pistanziencreme und kandierten Früchten? Und stattdessen Karotten knabbern wie ein schlecht gelaunter Zwergkaninchen-Triathlet? Sicher nicht.

Festive statt Fettstive
Die Festive 500 sind meine ganz persönliche Essgewohnheit. Ich radle mir mein Recht auf Panettone. Ich trete und leide für mein Stück Dolce-Vita-Weihnachten. Jede Ausfahrt ist ein Biss, jede Abfahrt ein Nachschlag. Und am Ende, wenn der Tacho 500 anzeigt, ist noch genug Platz für Tiramisu. Denn was bringt der Kalorienverbrauch, wenn man ihn nicht mit Stil veredelt? Also.
Wetter? Egal. Standort? Egal.
Im Warmen kann jeder rollen. Die wahre Kunst liegt im Zwiebelprinzip, im Eiskrümel unterm Helm und in der Erkenntnis, dass ein nasser Popo kein Weltuntergang ist. Es sei denn, die Weichteile frieren ein – dann wird’s kritisch.
Täglich. Ohne Ausnahme.
Der innere Schweinehund hat Sendepause. Wer zu spät startet, der rollt Silvester mit Stresspuls und Stirnlampe durch die Nachbarsiedlung. Also lieber die Strategie: Was man hat, das hat man. Oder auch: Lieber nass und stolz als trocken und schuldig.
Verwandtenbesuche reduzieren – oder gleich aufs Rad verlegen.
„Schön, euch zu sehen, aber ich muss jetzt noch schnell 62,5 Kilometer fahren.“ Klingt unsozial? Klingt nach Festive-500-Ethos.
Wetterberichte sind die neuen Horoskope.
Wer die Zeichen deuten kann, weiß: Zwischen Schneeregen und Sturm gibt’s ein magisches Fenster von 48 Minuten. Raus! Jetzt!
Nicht aufschieben. Nie.
Jeden Tag 62,5 Kilometer klingt harmlos – solange du an Tag 4 merkst, dass du erst bei 113 bist. Spoiler: Da hilft dann auch kein Indoor-Marathon mehr.
Pflicht vor Kür.
Zuerst das Soll – dann die Soul-Rides. Zuerst die harten Kilometer – dann die Genugtuung . So wird aus einer verrückten Challenge ein verdienter Triumph. Und wenn’s läuft wie geplant, gibt’s am 31. sogar noch Luft für die Ehrenrunde. Mit Wunderkerzen im Trikot.

Frohe Festive 500
Und damit: Viel Glück, starke Beine – und einen lockeren Blick aufs große Ganze. Denn am Ende zählt nicht nur, was du fährst, sondern dass du fährst. Und ein bisschen Wahnsinn gehört eben dazu.
Cristian aka ktrchts
PS: Lust auf 400 Kilomter an einem Tag? Pannonia 400 am 13.6.2026









































