Fahrradhandel vs Internet. Fair oder unfair? |
In meinem letzten Beitrag hier im Rennradblog habe ich mir der Passage „Ich selber kaufe beim Händler, aber auch im Internet. Natürlich ist es zu begrüßen, wenn sie einen lokalen Händler aufsuchen. Beratung und Betreuung von Ort sind ein großes Plus. Dass sie damit auch sozial Gutes tun, sollte ihnen bewusst sein.“ einen wunden Punkt getroffen. Einen Punkt, welcher wohl schon länger blutet. Immer weniger Händler und immer mehr Internetanbieter. Ist der Fahrradfachhandel noch zu retten oder bereits tot? Gute Frage.
Ein Beispiel. Vor knapp 2 Wochen war ich auf der Suche nach Neopren-Überschuhen. Ich hatte noch kein Vertrauen in den sich ankündenden Frühling und rechnete mit noch ein paar kalten Rennradausfahrten. Mein erster Gedanke galt natürlich dem Fahrradfachhandel. Ich besuchte mehrere Geschäfte (Namen möchte ich an dieser Stelle fairerweise nicht nennen) in Wien. In allen (es waren vier an der Zahl) musste ich enttäuscht den Heimweg antreten. Das von mir Gesuchte, war nicht vorrätig. In Größe, Modell, Material und Farbe. Natürlich hätte ich jetzt weitere Geschäfte abklappern können. In einem (welches?) wäre ich mit Sicherheit auch fündig geworden. Oder? Ich habe mich dann halt für die Variante Internet entschieden. Zuerst googlen, dann stöbern und zum Schluss bestellen. Ich habe ein Produkt bei einem Internetanbieter bestellt. Mit der Option die Ware im Shop abzuholen (spart nicht nur die Versandkosten, sondern lässt auch die Möglichkeit eines raschen Umtausches bzw. einer raschen Rückgabe offen). Nach 3 Tagen die Nachricht, dass die Ware nicht lieferbar ist. Punkt. Ok. Nochmals googlen, stöbern und anderswo bestellen. Nach 3 Tagen hatte ich mein gewünschtes Modell in der gewünschten Farbe und Größe. Es hat sofort gepasst. Ganz ohne „lokalem Händler vor Ort.“
Vielleicht ist das jetzt ein krasses Beispiel und unglückliche Umstände haben dazu geführt. Vielleicht auch nicht. Möglicherweise ist das auch das Dilemma der Branche: Problemlösungskompetenz (sorry für diesen holprigen Fachbegriff). Übersetzt: man hat wenig Interesse, ein Problem zu lösen. „Hamma ned“, „Kriagma ned“, „Gibs nimma“ … Sortiment und Auswahl sitzen jetzt wohl auf der Anklagebank. Zu Recht?
Kurt Stefan von Veletage – Salon für Radkultur – hat mir bezogen auf meinen bereits erwähnten Blogbeitrag folgende Zeilen geschrieben: „Beim lokalen Händler zu kaufen ist weniger ein sozialer Akt, als eine bewusste Entscheidung für Beratung, Erlebnis und die Möglichkeit anzugreifen und zu probieren, was ich kaufe. Wem das etwas wert ist, der sollte beim lokalen Händler kaufen. Wem das nichts bedeutet, der kann bedenkenlos im Internet kaufen.“
Genau dieses „Erlebnis und die Möglichkeit anzugreifen und zu probieren was ich kaufe“, wäre die Stärke des Handels vor Ort. So weit so gut. Und schön. Aber was ist, wenn das was ich kaufen möchte nicht vorrätig ist? Ok, kann passieren. Kein Fachhändler kann stets durchsortiert sein. Vorfinanzierung, Lagerhaltung … das alles kostet Geld. Was ist dann? Warten? Wiederkommen? Alternativen kaufen, die man nicht haben will? Sieht so Einkaufserlebnis aus?
Ich habe ganz erhlich leicht schreiben. Muss kein Geschäft führen und sehe alles sehr pragmatisch. Aus Kundensicht. Meine Sympathien für den Fachhändler kann und will ich aber nicht verleugnen. Fachsimpeln, Kaffee trinken, schauen, gustieren. Geil werden. Herrlich. Ich denke, dass viele andere auch so ticken wie ich. Das alles habe ich beim Kauf über das Internet nicht. Zumindest nicht kombiniert. Also liebe Fachhändler. Es ist eure Aufgabe, uns Kunden emotional zu wecken. Uns ein Einkaufserlebnis zu bieten. Es ist nicht eure Aufgabe mit uns Verstecken zu spielen. Uns mit Ausreden abzuspeisen. Wir wollen aktive Fachhändler. Fachhändler die agieren und nicht reagieren. Wir wollen, dass unsere Problemchen gelöst werden. Wir schieben den Ball zu euch. Nehmt ihn auf und schießt ihn nicht einfach wieder zu uns zurück. Holt uns in euer Geschäft.
Lieber Fachhändler. Wir Kunden sind heute viel informierter. Wir sind Gscheid-Daherredner, die zeigen wollen, was sie alles wissen. Wenn ihr weniger wisst, wie wir, dann wird es schwierig mit uns. Hört uns einfach nur zu, statt selber zu reden. Wir sind teilweise stur und fixiert. Ihr aber auch. Keine gute Kombination. Seid klug und gebt nach. Fragt uns ohne uns etwas einreden zu wollen. Führt uns. Was tausende andere schon gekauft haben interessiert uns nicht. Wir wollen was eigenes. Unseres. Macht uns Massenware einfach individuell schmackhaft. Es interessiert uns nicht, was ihr selber schon alles als Rennradler oder Biker erreicht habt. Wir wollen was erreichen. Wir wollen schneller werden. Wir wollen schöner sein. Uns interessieren keine aalglatten Werbesprüche oder Verkaufsschulungsargumente. Auch ist es für uns völlig irrelevant, ob ihr ein Prodoukt bereits hunderte Kilometer gefahren seid. Wir sind jene, die das Produkt fahren wollen. Am besten gleich. Jetzt. Montiert. Serviciert. Geschmiert. Wir wollen was anziehen. Wir wollen was herzeigen. Wir wollen das Gefühl haben, dass ihr unser Geld gerne haben wollt. Dass ihr uns als den Lieblingskunde behandelt.
Wir wollen nicht im Internet kaufen. Manchmal müssen wir aber. Und das liegt nicht an uns.
Cristian Gemmato aka @_ketterechts
PS: Kurt Stefan hat mir in seinem Schreiben auch folgendes geschrieben. Und ich stimme ihm dabei voll und ganz zu: „Was wir aber ächten sollten ist: Beim Händler unentgeltlich Beratung konsumieren, Schuhe probieren, nachfragen, welche pads bei welchen Felgen am besten bremsen, und dann im Internet kaufen. Das ist schlicht und ergreifend Diebstahl. Denn wie bereits gesagt, die Beratung und die Möglichkeit, das Produkt in natura zu begutachten, ist Teil des Produkts, das ich beim lokalen Händler kaufe. Wenn mir das was Wert ist, sollte ich dafür auch etwas bezahlen.“
Deiner Conclusio im letzten Satz ist nichts hinzuzufügen. Persönlich kaufe ich alles soweit das möglich ist und der Preis einigermaßen ( gerne nehme ich einen vertretbaren Mehrpreis in Kauf) stimmt, im Fachhandel. Rad und technischen Zubehör aber grundsätzlich in der Werkstätte, wo ich auch das Service erhalte. Bei der Bekleidung bin ich aber oft gezwungen im Internet zu kaufen weil die Auswahl vor Ort zu klein ist und bestellen kann ich selber. Mit Helmgröße 61 und Schuhgröße 47 stoße ich im Handel auf Grenzen.
meine Erfahrung sieht so aus das ich bei einem Händler nicht mehr bezahle als Online. Der Vorteil beim Fachhändler ist das er viel besser auf meine Bedürfnisse eingehen kann. Da wird unter umständen mein Bike auch erst bestellt und ich muss noch mal hin. Das Bike ist dann aber Fahrbereit! Extrawünsche wie anderes Ritzelpaket hinten und größeres Blatt vorn kann problemlos und ohne weitere Kosten fürs Material und die Arbeit geordert werden.
dem Händler erkläre ich genau was ich vor habe mit dem Bike. Er sieht mich direkt (Größe, Masse, Verteilung) und hat ein riesiges Wissen an Modellen und sucht mir gegeben Falls ein Bike was wirklich passt.
Sollte die ersten Kilometer irgend was wirklich nicht passen dann wird einem direkt vor Ort geholfen. Man findet eine Lösung weil der Kunde steht ja direkt vor einem.
Voraussetzung ist immer das der Händler sein Geschäft versteht.
Sehr gut geschrieben.
Vielen Dank dafür!
Dem ist nichts mehr hinzuzufügen!