„Ticket nicht verfügbar.“ Und das tagelang. Obwohl es pro Tag zwischen Wien und Tirol circa 10 Verbindungen mit dem ÖBB Railjet (RJ und RJX) gibt. Die schnellste aller Möglichkeiten, mit dem Zug samt Rennrad zum Rennradfahren nach Tirol zu fahren, wäre theoretisch ganz einfach. Praktisch aber weniger. Nur bis zu fünf Fahrräder, pro Zug, sind möglich. Und das ausschließlich mit Vorreservierung. Am verlängerten Wochenende rund um Maria Empfängnis waren, bis auf ganz wenige Ausnahmen, alle Fahrradmitnahme-Gelegenheiten ausgebucht. Nicht verfügbar. Eine flexible, dem Wetter (meistens schönem Wetter) angepasste Reiseplanung ist mit der ÖBB also kaum möglich. Rennradfahren in Tirol stand auf der Kippe.
Ich wollte mit dem Zug nach Tirol reisen und von dort wieder nach Wien zurückfahren. Dazwischen mit dem Rennrad 3 Tage lang kurzurlauben. Die Suche nach einem freien Platz im Zug gestaltete sich mühsam und die Planung dieses Abenteuer war mehr oder weniger rollend und zum Schmeißen. Zig Verschiebungen und Umplanungen des Startpunktes und der Startzeit später, hatte ich meine vier Tickets. Für mich, meinem Fahrrad, meinem Sitzplatz und dem Fahrrad-Abstellplatz. Zu einer unchristlichen Zeit, aber immerhin. Rennradfahren in Tirol war gebucht. Einmal rundherum bitte.
Mit dem Rennrad rund um Tirol.
Eigentlich. Ja, eigentlich wollte ich in Kufstein starten. Das Fehlen einer leistbaren Unterkunft für 6 Stunden Schlaf und einem Frühstück haben mich gezwungen, nach Wörgl auszuwandern. Ankunft um 2230 Uhr. Hotel gefunden, Zimmer bezogen. Zeitreise angetreten. In den Schlaf gewogen. Mit Kohldampf zu früh aufgewacht und bis 0730 Uhr spät in den Vormittag auf mein Frühstück gewartet. Um diese Zeit esse ich normalerweise zu Mittag. Egal. Um 8 war ich fertig ausgecheckt und am Rad. Ziel Imst. Über den Inntal-Radweg, das Mieminger Plateau, den Fernpass, das Lechtal und am Ende über das Hahntennjoch.
Wie bei den anderen Roundabout-Routen (Burgenland, Niederösterreich, Oberösterreich, Vorarlberg, Kärnten, Steiermark) bestand die Challenge darin, Tirol innerhalb der Außengrenze zu umrunden. Ohne „Bundesland-Flucht“ oder verbotenem Übertritt ins benachbarte Ausland. Was ja nicht immer ganz funktioniert hat. In Wien bedeutete Umrundung, außerhalb der Stadtgrenze zu bleiben. In der Steiermark war ich mit einem Bein in Slowenien und im Burgenland musste ich durch Ungarn. Dieser Regel ist bei Tirol rundherum dann leider Osttirol zum Opfer gefallen. Ob Osttirol Potenzial für eine sanfte Extra-Umrundung hat? Eventuell mit Südtirol zusammen? Interessanter Plan.
Die Topografie Tirols machte es außerdem notwendig, einige Passagen im Inntal doppelt zu fahren. Die Alternative wäre gewesen, in eine Richtung nördlich des Inns zu bleiben und in der anderen Richtung südlich. Aus praktischen Gründen habe ich mich für den Inntal-Radweg entschieden. Ein schöner Radweg, auch wenn nicht durchgängig asphaltiert und teilweise sehr verwinkelt. Speziell durch die Ortschaften. Ich kam aber von Wörgl bis Telfs trotz einiger Zusatzschleifen halbwegs zügig voran. In Innsbruck haben mich meine Ortskenntnisse aus meiner Zeit an der Uni geholfen, das Goldene Dachl zu finden und dann weiter den Weg Richtung Flughafen und Kranebitten zu ohne Umwege zu meistern.
Zeitdruck ist gut, um Druck am Pedal zu erzeugen.
Die geplante Route hätte (!) 560 Kilometer lang sein sollen. Mit knapp 8.000 Höhenmetern. Aufgeteilt in 3 Tagesetappen. Am ersten Tag die längste (über 200k), am zweiten Tag jene mit den meisten Höhenmetern (3.700 HM) und am letzten Tag die kürzeste (140k), um rechtzeitig den Zug in Wörgl zu erwischen. Hätte. Die jeweiligen Unterkünfte hatte ich dieses Mal bereits im Voraus gebucht und reserviert. Etwas Zeitdruck ist gut, um Druck am Pedal erzeugen.
Wer bei 200 Kilometern auf den ersten 100 Kilometern kaum Höhenmeter macht, weiß, dass die zweiten 100 Kilometer umso schwerer sein werden. Was auch der Fall war. Ein Appetizer und Vorgeschmack war ab Telfs der „Aufstieg“ zum Mieminger Plateau zuerst und der Fernpass gleich danach. Ja. Diese Strecke sollte man auf der Bundesstraße vermeiden. Vor allem dann, wenn der Arlbergtunnel gesperrt ist und diese Route als offizielle Ausweichroute angegeben wird. Es gibt aber leider keine Alternative. Zumindest keine asphaltierte. So zirkelte ich mich nebst holländischen Wohnwägen und stockendem Kolonnenverkehr kontinuierlich nach oben. Schön war es nicht, aber schnell. Auf der Abfahrt hatte ich dann aufgrund einer Straßensperre (Notarzthubschraubereinsatz) freie Bahn. Zuerst auf der Überholspur ohne Gegenverkehr und dann auf meiner Spur neben einer Kolonne stehender Autos in Gegenrichtung.
Reutte war vorbei an der Zugspitze über Leermoos, Bichlbach, Biberwang, Heiterwang und unter der Highline179 durch am späten Nachmittag erreicht. Das Lechtal erwartete mich. Nur noch ein kleiner Schupfer namens Hahntennjoch. Schupfer, der sich als schier unüberwindbare Mauer entpuppte. Er hat mir gleich nach 500 Metern den Stecker gezogen. Die restlichen 15 Kilometer bis zum Scheitelpunkt waren eine Tortur. Gefühlte 200 Kilo habe ich im Schneckentempo irgendwie nach oben gebracht. Die Angst vor Tag zwei war mir ins Gesicht geschrieben. Einfach viel zu wenig gegessen. Ein unverzeihlicher Anfängerfehler.
Tirol ohne Kühtai ist wie das Kühtai ohne Kühe.
Der Abend und die Nacht in Imst fühlten sich an wie der Aufenthalt in einer Krankenstation. Zwischen Übelkeit, Krämpfen und Resignation. Dass Tag zwei anders ablaufen würde, habe ich schon am Anfang des Hahntennjochs gewusst. Pillerhöhe und Kerschbaumer Sattel sollten meiner Leichtsinnigkeit und Fehler zum Opfer fallen. So blieb nur noch das Kühtai übrig. Denn Tirol ohne Kühtai ist wie das Kühtai selbst ohne Kühe. Imst, Haiming, Ötz und dann warteten schon die legendären 18 Kilometer hinauf zum höchsten Punkt der Tour. Mit größter Demut und haufenweise Respekt habe ich das Tagespensum an Höhenmetern in einem Allzeit-Negativ-Rekord abgehakt. Schnecken sind in Eile wahrscheinlich schneller. Nein. Sicher schneller.
Bei traumhaften Bedingungen konnte ich die Abfahrt nach Kematen so richtig genießen. Im Vergleich zum Ötztaler Radmarathon, wo du hier ständig von links, rechts, oben und unten überrollt wirst. Der Rest des Tages ohne nennenswerter Vorkommnisse. Ein Besuch beim Bäcker Ruetz, eine Stippvisite im internationalen Studentenhaus in Innsbruck (meine studentische Vergangenheit), Kaffeestopp in Schwarz und eine kleine Stärkung in Rattenberg, bevor die Unterkunft, eine Pension direkt am Inntal-Radweg, bezogen wurde.
Kaiserlicher Kaiserwinkel.
Das Schönste beim Rennradfahren in Tirol zum Schluss? Mit Sicherheit das Leichteste. Denn ohne „Arschrakete“ und ein paar Kilo weniger, ist das Rennradfahren in Tirol ein ganz anderes Erlebnis. Dank Schließfach am Bahnhof in Wörgl, wo ich alles, was ich nicht brauchen konnte, für ein paar Stunden deponiert habe, war die Abschlussrunde über Westendorf, Brixen im Thale, Kirchberg, Kitzbühel, St. Johann, Fieberbrunn, Pillersee, Waidring, Kössen und Walchsee via Kufstein retour nach Wörgl ein leichtes Spiel. Länger als geplant, aber umso befreiter. Badesehnsucht inklusive. Am Ende des Tages noch einmal über 155 nicht ganz freiwillige Kilometer und die Gewissheit, auch das heilige Land Tirol mit seinen Highlights umrundet zu haben.
Ende gut, alles gut? Nein. Denn die Rückfahrt mit der ÖBB war erneut chaotisch. Aufgrund einer Störung im Deutschen Eck waren nämlich einige RJX-Verbindungen ersatzlos gestrichen worden. So tummelte sich im Regionalexpress von Wörgl via Zell am See nach Salzburg alles, was mit Fahrrad und sonstigem bewegt werden wollte. Für den Anschluss RJ in Salzburg bekam ich dann eine Stunde nach der Abfahrt die Information, dass die Wagenreihung geändert worden war. Zu spät, denn statt schön unter Dach einzusteigen, durfte ich im Wolkenbruch alle restlichen Waggons bis zum Anfang des Zuges marschieren, um meinen reservierten Platz zu erreichen. Drei Tage trocken geblieben und dann am Ende durchnässt in den Zug zu steigen. Genial.
Acht von neun Bundesländern umrundet.
Am Ende bleibt noch ein Bundesland übrig. Salzburg will auch noch umrundet werden. Vielleicht heuer noch. Und Rennradfahren in Tirol? Tirol isch lei oans. Eng und schmal. Dabei sind Anfang und Ende über einen Radweg verbunden. Was das Radfahren hier einfach macht. Habe sehr viele Artgenossen getroffen. Die vielen Seitentäler (Pitztal, Ötztal, Zillertal, Kaunertal, Alpbachtal, Achental, Wipptal, Paznauntal, …) bleiben bei einer Umrundung auf der Strecke. Leider. Oder vielleicht zum Glück.
#ktrchts #machurlaubfahrrennrad #RAT23
PS: Die Räder werden immer schwerer, die Menschen immer unbeholfener und gestresster. Der Platz im Zug für die Fahrradmitnahme bleibt aber trotzdem gleich. Logisch, dass beim Transport durch unsachgemäßes Handling Schaden entstehen. Danke an dieser Stelle an die unbekannte Person. Mein Holzrahmen weint.