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20 Mal Ötztaler Radmarathon. Der Jubiläumsrückblick

20 Mal Ötztaler Radmarathon

Solide gefinished. Ja, das ist die Kurzfassung für all jene, die Blogbeiträge lesen, wie Espresso trinken: schnell. Ganz schnell. Und im Stehen. Wer aber wie ich 20 Mal beim Ötzi – diesem launischen Alpenungeheuer mit dem Herz eines sadistischen Bergkobolds – antritt, für den ist ein solides Finish weder Überraschung noch Grund, einen Konfettiregen aus dem Trikot zu schütteln. 20 Mal Ötztaler Radmarathon – an sich wenig spektakulär, aber trotzdem spannend.

Nach zwei Dutzend Teilnahmen wusste ich, wo dieses Biest atmet, wo es schnaubt, und wo es mich mit voller Wucht auf den Boden der Realität schmettern kann. Die vier Pässe? Alte Bekannte. Wie Verwandte, die man nicht besonders mag, aber trotzdem jedes Jahr zu Weihnachten sieht. Die Abfahrten? Routine auf Adrenalinbasis. Und die Flachstücke dazwischen? Meditation mit Puls 170.

20 Mal bin ich an diesem Start gestanden, 17 Mal hat mich Sölden am Ende in die Arme geschlossen – manchmal wie ein Freund, manchmal wie ein Türsteher, der mich widerwillig hereinlässt. 14 Finisher-Trikots vermotten im Keller wie farbenfrohe Kriegsmedaillen. Drei fehlen. Vielleicht stammen sie aus dieser sagenumwobenen Ära, als man noch in Steinach am Brenner starten durfte. Ob es damals überhaupt Finisher-Trikots gab? Keine Ahnung. Die Ergebnislisten haben sich mittlerweile in die digitale Gruft verabschiedet, irgendwo zwischen Windows 95 und AOL-Freistunden-CDs.

Vielleicht habe ich die Trikots verlegt. Das wäre traurig. Vielleicht habe ich mich verzählt. Das wäre peinlich – also scheidet es aus. Ich bleibe dabei: 20 Mal Ötztaler Radmarathon.

Die gute alten Best-Zeiten

Meine Ansprüche sind, bevor ich in Sölden an den Start gehe, von Jahr zu Jahr gleich hoch. Tief in mir drin schlummert immer noch der irrwitzige Gedanke, meine eigenen Bestzeiten zu pulverisieren – jene glorreichen Relikte aus einer Ära, als Schaltwerke noch aus Metall und meine Oberschenkel noch aus Hoffnung bestanden. Und jedes Jahr scheitere ich erneut. An mir selbst. An meiner Überform (zu viel davon), am Gewicht (ebenfalls zu viel davon) und an meiner Rennstrategie (nicht vorhanden, nicht auffindbar, vermutlich nie geboren).

Denn ich – der große Meister der Improvisation, bereite mich traditionell äußerst unstrukturiert vor. Ich war schon immer zu schwer, werde nicht leichter, und liebe es trotzdem, bis St. Leonhard im Sollfenster zu bleiben, nur um danach mehr Verspätung aufzubauen, als die Deutsche Bahn und die ÖBB zusammen an einem verschneiten Mittwochmorgen. Und dann kommt es wieder, mein Endgegner: das Timmelsjoch – ein emotionaler Fleischwolf, der aus Selbstvertrauen feinste Frustrationsspäne drechselt. Egal wann, egal wie: Es ist mein Waterloo. Seit 20 Teilnahmen.

Heuer standen die Sterne jedoch ein kleines bisschen anders. Für den finalen Akt meiner Jubiläumsausgabe griff ich tief in die Trickkiste – und gönnte mir ein übergewichtiges 11–36er Shimano-Ritzel. Das größte, das ich in 20 Teilnahmen je gefahren bin. Bei meinem ersten Ötzi fuhr ich ja noch naiv ein 23er – mit vorne einem 39er Kettenblatt. Dann ging es stetig bergauf: 25, 27, 29, 30, 32, 34 (Campagnolo unter anderem, bevor hier jemand aufschreit). Wechselnde Kettenblätter zwischen 34 und 36, ein mechanischer Selbstfindungsprozess in mehreren Gängen.

Trickkiste, Kapitel 20

Der erste Test mit 36:36 fühlte sich an wie ein heimlicher Notausgang aus dem Leidenskeller. Unschlagbar. Doch, wie immer beim Ötztaler, kam alles anders. Kurz vor der Abfahrt nach Sölden hatte ich meinen My Esel-Holzrahmen beleidigt. Und zwar nachhaltig. Ja, auch Holz hat Grenzen. Und ja, ich habe sie offenbar gefunden, umarmt und überschritten. Mein Esel war zwar noch fahrbar, aber sein Sounddesign erinnerte stark an einen beleidigten Biedermeier-Kleiderschrank. Details erspare ich uns. Ich habe die Geheimakten ohnehin schon an My Esel weitergeleitet – schließlich besteht meine Mission darin, Rennrad-Holzrahmen an ihre Grenzen zu führen. Und darüber hinaus. Mission accomplished.

Am Weg nach Sölden musste ich mir noch einen T-Esel, also ein Ersatz-Rennrad, holen. Nicht exakt mein maßgefertigter Rahmen, aber eine solide Basis, um halbwegs einen optimierten Rennesel zusammen zuschrauben. Ein zu kurzer Vorbau, eine zu kleines, großes Ritzel und zu viele Spacer mussten verlängert, vergrößert und verringert werden. Dazu kam noch die Überraschung einer Kompaktkurbel. Kurzum, meine Vorbereitung auf den Ötztaler Jubiläums-Radmarathon bestand aus Denken, Messen, Schrauben und Testen. Das ganze mehrmals hintereinander. Am Ende fand ich mein Setup. Einer Premiere mit 34-36 stand nichts mehr im Weg. Meine Rechnung mit dem Timmelsjoch? Theoretisch begleichbar. Praktisch? Nun ja.

Null Frequenz + Null Kraft = Null Bock

Denn was sich bei den ersten Testkilometern (viele waren es nicht, denn das Wetter war am Freitag und Samstag vor dem Rennen alles andere als radfreundlich) noch vielversprechend anfühlte, war am Tag des Rennes ein Griff ins Plumsklo. Mir fehlte es einfach an der Technik, die hohe Trittfrequenz am Berg in Vortrieb zu verwandeln. Im Zweikampf, Mann gegen Mann (und gegen Frau) hatte ich nicht nur das Gefühl im Stand zu treten, ich habe im Stand getreten. Ohne einen Millimeter nach vorne zu kommen. Mit hohem Puls und Verzweiflung im Gesicht. Für mich als dieKetterechts eine Schmach, eine Schande. Das Timmelsjoch war wieder einmal mein persönliches Waterloo

Weil ich auch dieses Jahr ab St. Leonhard (dort wo vielen der Rennfilm reißt) wieder einmal nicht in die Gänge gekommen bin. Weder mit dem butterweichen Mini-Gang, noch mit einem etwas härteren. Null Frequenz + Null Kraft = Null Bock. Eine Rechnung so simpel wie brutal. Darüber hinaus war ich überhitzt. Die Hitzefalle hatte wieder einmal zugeschlagen. Man sollte glauben, beim 20. Ötztaler hätte ich das im Griff. Falsch gedacht.

Meine Iso-Suppe im Bidon war zu warm, zu süß, zu nutzlos. Die anderen? Wie machen die das? Eine Frage, die ich seit Jahren stelle. Antworten? Keine. Nur Selbstmitleid und Schweiß.

Rinnsal der Erlösung

Die guten alten Bestzeiten hatte ich zu diesem Zeitpunkt schon längst über Bord geworfen. Meine Hochrechnungen und Gedankengänge schlurften langsam aber unaufhaltsam in Richtung Sonnenuntergang und darüber hinaus. Aufgequollen, lustlos und innerlich halbgekocht lahmte ich meinen Esel Richtung Schönau. Verloren. Verlassen. Vereinsamt.

Und dann geschah es: Ich sah ein kleines Rinnsal. Ein unscheinbarer Wasserfaden am Straßenrand, der plötzlich zu meinem persönlichen Lourdes wurde. Ich blieb stehen. Erst ein paar Tropfen. Dann pure Hingabe. Kopfdusche, Flaschentaufe, kaltes Quellwasser direkt in die Seele gegossen. Und siehe da: Eine kleine Auferstehung rollte langsam aber sicher an. Die Betriebstemperatur sank, die Motivation stieg – ein Wunder aus Stein und Schmelzwasser. Der Sonnenuntergang rückte wieder in die Ferne, das Timmelsjoch näher. Und irgendwann – gefühlte Tage später – war ich oben. Pflicht erfüllt.

Die Abfahrt nach Sölden? Ein Gedicht. Schnell. Mit Rückenwind schneller. Mit 52er Kettenblatt wäre es vermutlich ein Liebesbrief an die Gravitation geworden. Supertuck und noch einmal Supertuck – ist ja nicht verboten. Erst freier Fall bis zum Gegenanstieg, dann alles raus: Mautstelle, Hochgurgl, Obergurgl, Gurgl … der Rückenwind schob und schob. Zwieselstein, AWZ, und dann Sölden. Die ganze Dorfstraße für mich allein irgendwo heroisch im hinteren Mittelfeld ausgelaufen.

Die letzte Kurve und dann die Ziellinie. Business usual. 20 Mal Ötztaler Radmarathon in the books. 17 Mal gefinished. Keine Blessuren. Kein Ruhm. Kein Heldenepos. Aber eine kleine, sehr kleine Genugtuung. Und der Freude auf das 21. Mal.

Aus den Archiven

20 Mal Ötztaler Radmarathon sind mehr als 20 Geschichten. Emotionen, die ich jedes Jahr in Wort und Bild zusammengefasst habe und von denen ich heute noch zehre. Auch wenn einige Ausgaben allein in meinem Kopf nachwirken. Die Regenschlachten 2003 und 2013, die Juli Edition 2023, die Hitzeschlacht 2015, der Edition mit Schnee am Kühtai vor dem digitalen Zeitalter, der Start in Steinach am Brenner, die Strecke über Axams und Mutters, mein erstes Finish mit dem My Esel Holzrahmen 2022, die vielen Umleitungen wie über den Haiminger Berg (Sattele) oder Sellrain (Götzener Landesstraße) … Was habe ich alles erlebt und nicht erlebt. Die guten alten Bestzeiten (9h20min im Jahr 2011), das Rennrad schieben, die Armreifen als Beweis für das Überqueren der Kontrollpunkte … das waren noch Zeiten.

Der Ötztaler Radmarathon ist und bleibt ein Mythos – ein widerspenstiger, launischer, aber zutiefst faszinierender Mythos. Nach 20 Teilnahmen weiß ich: Man besiegt ihn nie wirklich. Man verhandelt mit ihm. Jedes Jahr neu. Mal gewinnt er, mal lässt er mich gnädig durch. Und trotzdem stehe ich wieder am Start, weil dieser Marathon mehr ist als Höhenmeter und Qual: Er ist ein Spiegel, ein Lehrer, ein unverschämter Motivator. Er zeigt mir, was möglich ist, was unmöglich bleibt – und dass ich offenbar unfähig bin, Vernunft walten zu lassen. 20 Mal Ötztaler heißt 20 Mal Scheitern, Staunen, Fluchen, Wachsen. Und genau deshalb freue ich mich auf die nächsten 20.

Save the date:
30. August 2026. 
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Das Ötztaler Radmarathon Jubiläum.

Ötztaler Radmarathon Jubiläum

Was wurde im Vorfeld nicht alles über dieses heiß ersehnte Ötztaler Radmarathon Jubiläum geschrieben und diskutiert. Über die neue Strecke hinauf auf den Haimingerberg, über das Wetter und über alles andere, worüber vor dem Rennen Jahr für Jahr sowieso auch unzählige Male debattiert wird. Diesmal vielleicht zurecht. Möglicherweise wenig sachlich, dafür umso emotionaler. Weil eben die Kombination aus all dem bei vielen Teilnehmer*innen am Freitag und Samstag und sogar am Sonntag in der Früh etwas ausgelöst hat. Ob es Angst, Respekt, Sorge oder einfach nur ein ungutes Gefühl war, lässt sich schwer sagen. Auf alle Fälle hat das 40. Ötztaler Radmarathon Jubiläum nicht nur einiges versprochen, sondern auch gehalten. Hart. Härter. Jubiläum.

Feste soll man feiern, wie sie fallen. Radmarathons auch.

Es hätten apokalyptische Zustände sein sollen. Wenn die Vorhersagen einiger (fast aller) Wetter-Apps und Wetterexpert*innen eingetroffen wären. Diese Radwelt-Untergangsstimmung hat viele davon abgehalten überhaupt nach Sölden zu fahren und letztendlich am Sonntag um 6:30 Uhr am Start zu stehen. Der Autor ist selbst im Dilemma zwischen Gesundheit und Abenteuer fast verfallen. Am Ende waren von den 4.010 Gemeldeten gerade einmal 2.754 am Start. Auch der Autor. Das Ziel gesehen haben davon 2.261. Nicht der Autor. Aber diese Geschichte wollen wir etwas später erzählt bekommen.

Die Vorhersagen haben also das Schlimmste befürchten lassen. Zum Schluss hat sich nur eine der vorhergesagten Katastrophen bewahrheitet. Der Haimingerberberg. Das Sattele mit seinen 1.000 Höhenmetern auf knapp 9 Kilometern Länge war kein Aufwärmen nach der Abfahrt bis Haiming, sondern ein frühmorgendlicher Saunaaufguss. Zu schwer. Viel zu schwer. Natürlich auch der Berg selbst. Viel mehr war es aber der Ballast an Winterjacken, Überschuhen, Beinlingen, Handschuhen und Mützen vieler, die, weil sie gut aufgepasst hatten, sich vorsichtshalber zu warm angezogen haben und eher für ein Winter-Opening gerüstet bereit gewesen wären . Autor inklusive. Es war die Hölle. Und das Flehen nach etwas Kühle wurde erst hoch oben am Kühtai erhört. Ist schon paradox. Man startet in der Früh eingepackt mit der Angst zu erfrieren und wünscht sich dann am ersten Berg etwas mehr Abkühlung. Hart. Härter. Ötztaler Radmarathon Jubiläum.


Meistens kommt es anders. Und schöner als man denkt.

Dem nicht genug. Während die Abfahrt vom Kühtai nach Kematen dank Thermo von der Temperatur her angenehm war, stieg am Weg zum Brenner und dann weiter nach Sterzing die Gefahr, das Lungen-Muskel-System weiter zu überhitzen. Der Höhepunkt dieser Overdressed-Strategie wurde dann am Fuße des Jaufenpasses erreicht und in St. Leonhard wiederholt und sogar übertroffen. 20° plus hatte niemand auf der Rechnung. Statt des erwarteten und prognostizierten Schneefalls wurden die meisten Teilnehmer*innen mit typischen Ötztaler Radmarathonwetter vom Wettergott so richtig auf die Schaufel genommen. Das Gefühl, innerlich an Hitze zu explodieren, hat auch der Autor mehrmals erlebt. Ausziehen war aus Mangel an Taschen zwecklos. Die Lehre daraus? Manchmal kommt es anders, als man denkt. Und das sogar noch viel schöner und besser.

Aller Fahrer*innen unter 8, 9 und sogar 10 Stunden hatten also ein mehr als passables Ötztaler Radmarathon Jubiläum. Mit dem Prädikat trocken. Etwas unterkühlt vielleicht. Die anderen haben das erwischt, was allen hätten blühen sollen. Zuerst Eisregen, dann Regen, später und am Ende Land unter. Von Schönau bis Sölden. Von 17:30 Uhr bis zum Eintreffen des letzten Teilnehmers im Ziel. Spät aber doch. Leider. Es bleibt der Trost, dass der Montag noch grauslicher gewesen wäre. Hart. Härter. Sauwetter am Timmelsjoch. Wie jedes Jahr.

Jubiläum mit Tücken.

Es war also ein Jubiläum mit Tücken. Ein klassischer Ötztaler Radmarathon. Das Jahr Pause hat dem Event überhaupt nicht geschadet. Ganz im Gegenteil. Es war fast alles wie immer. Das Flanieren in der Expo, die Fachsimpeleien unter Kolleg*innen, die Hektik am Mavic Reparaturstand, das Relaxen im Hotel, der acht Euro 50 teure Apfelstrudel im ice Q am Gaislachkogel, das Zuschauerspalier am Kühtai, die Fankurve am Bergisel in Innsbruck, die Dolce Vita am Brenner, der Adrenalin-Kick im Gossensaß-S, das rettende Wasser am Alpenblick in Kalch, die mittlerweile zur Autobahn gewordene Abfahrt nach St. Leonhard in Passeier …

Das Ötztaler Radmarathon Jubiläum hat nichts ausgelassen und business as usual angeboten. Das Fehlen der Pasta-Party ließ sich mit einem € 12 Gutschein gut verkraften. Und die 3G-Regel hat nur einmal einen kleinen Aufwand verursacht. Das gelbe oder rote Band haben alles schnell in Normalität übergehen lassen. Dominik Kuen und sein Team können (und dürfen) aufatmen.

Ötztaler Radmarathon

Über das bessere Wetter darf und soll man sich also nicht beschweren. Die Ausweichstrecke war auch keine gewollte Schikane. Zum Jubiläum hat alles so sein wollen. Dass einige die Gesundheit über das Risiko gestellt haben, ist groß anzurechnen. Egal ob sie jetzt nicht gestartet sind oder aufgegeben haben. Und wer gar nicht nach Sölden gekommen ist, der wird auch seine Gründe gehabt haben. 2022 gibt es wieder eine Chance. Dann heißt es 40 Jahre Ötztaler Radmarathon, nachdem der erste im Jahr 1982 ausgetragen wurde. Noch ein Jubiläum am 28. August 2022. Noch einmal Haiminberberg? Vom Wetter reden wir jetzt noch nicht. Das tun wir sowieso.

DNF is an option. Der Autor hat sich aufgegeben.

Zurück zum Autor, der bei seiner 15. Teilnahme am Ötztaler Radmarathon zum dritten Mal das Finisher-Trikot nicht abholen konnte und zum zweiten Mal das Rennen im Besenwagen zu Ende bringen musste (wollte). Einmal ist er gar nicht an den Start gegangen. Auch das gibt es.

Für ein DNF gibt es keine Ausreden. Es war eine lang aufgeschobene Entscheidung, die schon am Weg zum Sattele maturierte. Zu groß die Rückenschmerzen, die schon einige Wochen den Alltag und das Training geprägt hatten. Kühtai, Kematen, Innsbruck, Brenner, Sterzing, Jaufenpass und St. Leonhard wollten noch mit Willenskraft erreicht werden. Letztendlich kam knapp 27 Kilometer vom Timmelsjoch entfernt das freiwillige und erlösende Aus. Es war eine schmerzliche, aber richtige Entscheidung. Am Straßenrand sitzend und wartend zuerst und im ewig nicht daherkommenden Besenwagen danach, konnte deshalb eine andere Sicht auf den Ötztaler Radmarathon geworfen werden. Jene mit Fokus auf die wahren Helde*innen. Bei den Fahrer*innen und Helfer*innen.

Was hinter den Schnellsten passiert, gehört in den Mittelpunkt. Der Autor möchte die letzten Zeilen genau diesen Menschen widmen. Sie machen den wahren Spirit des Ötztaler Radmarathons aus. Jene Menschen, die unbedingt das Ziel erreichen wollen und jene Menschen, die alles geben, damit jeder das Ziel auch erreichen kann. Die letzten Kilometer hinauf auf das Timmelsjoch sind zwischen 18 und 19:30 Uhr ein Film in Zeitlupe. Die verzweifelten Blicke jener sich Tritt für Tritt nach oben Kämpfenden sprechen Bände. Sie sind emotionale Ausdrücke einer verbissenen Leidenschaft. Der Allerletzte wird umzingelt und angefeuert. Er hat die wartende Ausflugsmeute im Nacken und ist jener, der entscheidet, wann hier alle Helfer*innen Feierabend haben werden. Großen Respekt.

Man muss nicht schnell sein, um zu gewinnen.

Eine war die Schnellste, einer der Schnellste. Einige schnell und andere nicht schnell genug. Aber gewonnen haben alle. Jene, die ins Ziel gekommen sind und jene, die ihren Traum auf ein anderes Mal verschieben mussten. Hauptsache alle gesund. Was bleibt, sind viele persönliche Eindrücke und Geschichten sowie ein starkes Miteinander. Die kleinen Kinder in Steinach am Brenner, die zum Abklatschen am Straßenrand stehen, sind hoffentlich die Starter von morgen. Die zwei Trommler vor dem Schlössl ausdauernder als so mancher im Feld. Das ist der Ötztaler Radmarathon. Mit oder ohne gemeinen Haiminberberg. Ebenfalls mit oder ohne Regen, Schnee und Hitzestau. 2021 wird als der vermeintlich härteste Ötztaler Radmarathon in die Geschichte eingehen. Alle Finisher-Trikot Inhaber*innen werden diesen ganz besonderen Lycra-Stofffetzen mit breiter Brust ewig in Ehren halten und stolz ausführen dürfen.

#ktrchts

Ötztaler Radmarathon Wetter. Vorschau.

Ötztaler Radmarathon Wetter

Nichts wird so heiß diskutiert wie das Ötztaler Radmarathon Wetter. Weil das Wetter beim Ötztaler Radmarathon Freund und Feind sein kann. Und sein wird. Monate und Wochen davor fängt das Fachsimpeln an. Und die ewige Diskussion. Fallen die Langzeitprognosen einhellig aus – was ausnahmsweise nie der Fall ist, dann ist alles gut. Kommen hingegen Wörter wie Schnee, Regen und Kälte dazu, dann ist die Hölle los und die ganzen Diskussionen schaukeln sich hoch. Zum 40. Jubiläum des Ötztaler Radmarathons (und zum 40. Jubiläum des Ötztal Radmarathon Wetters) haben wir aktuell genau diesen Worst Case. Ein Tief über Polen hat den Sommer im Ötztal abrupt gebremst. Der Winter hat hoch oben bereits seine Fühler ausgestreckt. Und das Wetter am Sonntag, 29. August 2021? Keine Ahnung. Dafür keine rosigen Prognosen.

Das Wetter in den Bergen ist wie Lotto spielen.

Es sei schlimmer als 2018. 2002 und 2013 waren es schlimm, aber nicht so kalt. Alte Hasen des Ötztaler Radmarathons haben die Jahrgänge im Kopf. Jahrgänge des Zitterns und des Bibberns. 2021 soll und kann in die Geschichte des Ötztaler Radmarathons werden. Die Prognosen sehen düster aus. Auch wenn sie sich täglich (stündlich) ändern. Sonniger und wärmer wird es nicht. Ganz im Gegenteil. Alles, was warm hält, ist auf der Expo schon ausverkauft. 4.000 Starter bereiten sich auf das Winter Opening vor. Zum Glück wird die Suppe oft nicht so warm gegessen wie gekocht. Aber die Ängste uns Sorgen haben ihre Berechtigung.

Lisa Brunnbauer (aka Lisa Wetterfee und mehrmalige Ötztaler Radmarathon Finisherin) bringt es schon seit Tagen auf den Punkt. Es wird kein Kindergeburtstag. Die Großwetterlage ist eindeutig. Das Tief über Polen ist schuld. Den Rest werden wohl die lokalen Wetterphänomene anrichten. Und die sind schwer vorauszusagen. Sie hängen von vielen Faktoren ab, die man schwer prognostizieren kann. Temperatur, Sonneneinstrahlung, Wind, Niederschlagsmenge … Mit und ohne, korreliert gibt es dann das was man dann als „war aber nicht vorausgesagt“ bezeichnet.

Das Wetter für Sonntag, 29. August 2021

Wie soll und darf also das Wetter werden? Dank eines Insiders (Meteorologe) liegen folgende Informationen vor: Stand Freitag, 27. August 2021:

Also, meine Einschätzung nach Sichtung der neusten Modelle… 3 kamen in Betracht und der Ablauf ist relativ ähnlich, die Intensität unterschiedlich. Zum Start dürfte es von oben her trocken sein, Restnässe von der Nacht wird es geben… 8 Grad. Am Vormittag wird es aus den reingestauten Wolken rund um Innsbruck immer häufiger tröpfeln, aber man sollte ohne großen Regen zum Brenner kommen, auf 2000 m rund 2 Grad, am Brenner 9. Der Südtiroler Abschnitt wird deutlich wärmer, trocken, wolkig mit etwas Sonne, Sterzing 14 Graf, Jaufenkamm 4 Grad.

Zum Anstieg aufs Timmelsjoch immer dunklere Wolken und noch vor dem Passübergang einsetzender Regen, Schneefallgrenze etwas unsicher, im schlechtesten Fall 2200 m, im besten Fall 2400, am Passübergang rund 1 Grad und Schneefall, feucht und immer wieder etwas Regen bis ins Ziel. Die Modelle schwanken bezüglich der Intensität dieses Niederschlags zum Ende des Kurses, von leicht bis kräftig, nass ist es aber in jedem Fall. Ich hoffe, das gibt Euch einen Eindruck, Detailfragen jederzeit hier.“

Stand Samstag, 28. August 2021:

„Ich hab nun die aktuellsten Frühläufe der mir vorliegenden 4 Modelle gecheckt… das gestern gesagte hat bis vor dem Anstieg auf das Timmelsoch bestand… nun ist es einhellige Simulation, dass von Nordwesten her zwischen 13 und 15 Uhr, je nachdem, eine umgebogene Okklusion (😝) die Ötztaler Alpen erreicht und es oben bei einer Schneefallgrenze von etwa 2200-2300 m kräftig schneien lässt. Wie die RL damit umgeht, wenn es so eintrifft, kann ich kaum beurteilen.“

Wetterglück oder Badass

Ein weiterer Insider:

Also Wetter sieht bis auf das Timmelsjoch eigentlich weiterhin ganz OK aus … Nur haben jetzt alle Modelle den Niederschlag der aus dem Norden am Nachmittag reinzieht nochmal deutlich angezogen… Demnach würde irgendwann zw 14 und 16 Uhr am Timmelsjoch starker Schneefall einsetzten bei um 0 Grad der dann auch bis zum Abend/in die nach hinein anhalten würde.“

Es kommt also auch am Sonntag wie immer im Leben darauf an. Wann man wo ist. Die Wahrscheinlichkeit mit einem blauen Auge davonzukommen ist gegeben. Sub 8 Stunden Fahrer*innen haben dabei die besten Chancen. Bei den sub 9 Stunden Fahrer*innen wirds eng. Alles andere muss den Fahrer*innen selbst und der Organisation überlassen werden.

Auf alle Fälle der Tipp an alle: Vergesst Bestzeiten und Heldentum. Die eigene Sicherheit geht vor. Und ein Aufgeben oder Abbrechen ist keine Schande. Wenn wir am Sonntag alle wieder gesund im Ziel sind, dann haben wir alle gewonnen.

#ktrchts