Eigentlich. Sätze, die mit eigentlich beginnen, verheißen normal nichts Gutes. Oder sie deuten darauf hin, dass etwas nachgetrauert wird. In diesem Fall den WPCC (World Press Cycling Championship), die im Zuge des Arlberg Giro 2023 hätten stattfinden sollen, und dann leider abgesagt worden sind. Das zu geringe Interesse (nur etwas mehr als 30 Anmeldungen) haben den Veranstalter dazu bewogen, das Ganze abzublasen. Also kein Zeitfahren und kein Sprintrennen. Geblieben ist aber die Teilnahme am Arlberg Giro und Roundabout Vorarlberg in Eigenregie. Zimmer und Zeit in St. Anton am Arlberg waren ja gebucht. Wäre schade gewesen, nur herumzusitzen. Und ein bisschen Einfahren hat noch niemanden geschadet. Auch wenn es 228 Kilometer und 2.900 Höhenmeter waren.
St. Anton ist um 5 Uhr ein finsteres Loch.
Eigentlich (da haben wir es wieder) hätte das Rennen um 6 Uhr in der Früh starten sollen. Aufgrund behördlicher Vorgaben, schickte man uns aber still und heimlich bereits um 5 Uhr morgens los. Der gesperrte Arlbergtunnel und das damit verbundene höhere Verkehrsaufkommen auf der Arlberg Passstraße samt Sperre für Fahrradfahrer bergauf, hat das Land Vorarlberg veranlasst, diese uns sonst keine Startzeit zu genehmigen. Dieser Umstand hat das Rennen von Anfang an spannend gemacht. Mein Hotel war darüber zum Beispiel gar nicht informiert und fiel von allen Wolken, als ich für Sonntag 4 Uhr ein Frühstück bestellen wollte.
Dann kam natürlich noch das Thema Dunkelheit. St. Anton am Arlberg ist Ende Juli zu dieser Zeit noch ein finsteres Loch. Bei bedecktem Himmel und Sauwetter ein stockfinsteres. Regen war ja angesagt. Laut Wetterbericht des Tourismusverbandes für Sonntag in Form von ein paar Regentropfen. Einige Wetter-Apps waren hingegen etwas pessimistischer. Die meisten tappten aber im Dunkeln. Könnte, sollte, eventuell, vielleicht … Im Endeffekt war es vom Start weg bis ins Ziel nass. 150 Kilometer Wasser von unten und immer wieder stark von oben. Was die Abfahrten zu Tänzen auf rohen Eiern mutieren hat lassen. Bengalische Feuer hinauf auf den Arlbergpass und mit aufgedrehten Xenon-Lichtern geparkte Autos am Pass selber, haben das Morgengrauen etwas erhellt. Spektakuläre Bilder und Eindrücke für die einen, Hosenscheißer-Feeling für die anderen. Dass einige auf den ersten 7 Kilometern den viel schnelleren Weg zurück nach St. Anton gesucht und gefunden haben, kann ich verstehen. Überlegt habe ich es mir einige Male.
Soviel ich weiß, ist alles gut gegangen. Glück gehabt. Trotzdem frage ich mich, was sich eine Behörde dabei gedacht hat. Selbstverantwortung hin oder her. Am Ende entscheidet jeder der TeilnehmerInnen für sich. Ich hätte gleich ein Night-Race daraus gemacht. Mit Licht-Pflicht für alle.
Die Strecke und ihre Verkehrsordnung.
In Österreich gilt bei jedem Radmarathon die Straßenverkehrsordnung (StVO). Im FahrerInnen-Briefing am Samstag konnte nicht oft genug darauf hingewiesen werden. Die gesamten 150 Kilometer sind nämlich nicht für den Verkehr gesperrt. “Es ist überall und jederzeit mit Gegenverkehr zu rechnen”. Auflagen, Vorschriften, Regeln … und wenn sich die TeilnehmerInnen nicht daran halten, gibt es keine solchen Rennen mehr. Und was macht die Meute (das Feld)? Beim ersten Kreisverkehr, ca. 1 Kilometer nach dem Start, teilt es sich in zwei Teile. Die einen fahren vorschriftsmäßig rechts und andere links davon durch. Finde den Fehler. Die gesamte Strecke ist aber sonst bestens abgesichert und beschildert. Kaum Verkehr, was auch an die frühe Startzeit und auf das Sauwetter zurückzuführen ist. Vielleicht haben die Behörden außer beim Wetter doch mitgedacht.
Der Arlbergpass fordert gleich zu Beginn von 0 auf 15 % alle, die Abfahrt durch das Klostertal, lässt die Durchschnittsgeschwindigkeit schnell wieder zweistellig werden und die Anfahrt zur Silvretta Hochalpenstraße durch das Montafon trennt den Ehrgeiz vom Gemüt. Alle, die hier in einer schnellen Gruppe mitfahren können, sparen Kraft. Wer hier in einer schnellen Gruppe unbedingt mitfahren will, lässt Kraft liegen. Und wer sich selbst gut kennt, fährt sein Tempo. Mit einer Gruppe oder auch allein. Der Berg ruft nämlich. Und ist dann auch da. 15 Kilometer und knapp 1.000 Höhenmeter von Partenen hinauf auf die Bielerhöhe. Beim Arlberg Giro werden hier die Queen und der King of Mountain gekürt (eigene Zeitnehmung auf einer Länge von 13 Kilometern).
Ende gut, alles Radweg.
Die Silvretta Hochalpenstraße ist schon etwas Besonderes. Das Panorama, sofern die Sicht frei ist, ein Traum. Viele Kehren hoch, zweimal Stausee, der 3.312 Meter hohe Piz Buin, weitere noch spärlich vergletscherte Nachbarn und eine rasante Abfahrt durch das Panznauntal. Das Finale des Arlberg Giro ist etwas für Laktatresistente. Immer vorausgesetzt, Mann und Frau trauen sich. Denn da gibt es schon ein paar knifflige Passagen, die auf nasser Fahrbahn und im Regen Grenzen aufzeigen könnten. Scharf rechts, links durch Galtür, die Kreisverkehre in Ischl, die Tunnelumfahrungen vor Kappl und die scharfe Rechtskurve unter der Trisannabrücke. Nur um einige zu nennen. Der Rest ist Augen zu und Unterlenker. Bis Pians. Dann geht es die letzten 20 Kilometer wieder bergauf.
Dank Autobahn (Schnellstraße) ist dieser Abschnitt weiterhin sehr verkehrsarm und man kann die letzten verbliebenen Kräfte dosieren. Bis Schnann. Wo die Strecke des Arlberg Giro seit heuer auf den Stanzertal-Radweg ausweicht. An und für sich eine geniale Idee, die letzten 10 Kilometer chillig das Ziel anzuvisieren. Ob man jetzt ein “Rennen” auf einen Radweg verlagern soll, dürfen andere entscheiden. Zumal der Stanzertal-Radweg etliche 90° Kurven hat und auch Brücken. Jeder weiß, was es heißt, eine nasse Holzbrücke zu befahren. Wenn nicht, einfach Stefan Kirchmair fragen. Der amtierende UCI-Amateur-Weltmeister und spätere Zweite der Gesamtwertung rutschte auf einer aus und lag am Boden. Eigenverantwortung und Rennen sind oft schwer zu koordinieren.
Auf Wiederradeln.
Es war ein geniales Wochenende. Trotz fehlender WPCC. Vielleicht aber genau deshalb. Einmal rund um Vorarlberg, dann eine Ausfahrt mit dem Team Vorarlberg und ein Arlberg Giro, der seine Reize hat. Für das Wetter kann niemand etwas dafür. Auch wenn der Regen in St. Anton am Arlberg fast schon zum Inventar gehört.
Die Region bemüht sich sichtlich darum, auch RennradfahrerInnen anzulocken. Die direkte Anbindung mit dem Zug, spricht dafür. Vielleicht fehlt ein wenig die Vielfalt. Man hat die Wahl zwischen Arlbergpass rauf oder Stanzertal raus, bevor sich wunderbare Routenmöglichkeiten in Tirol und Vorarlberg eröffnen. Vom Preisniveau gliedert sich St. Anton am Arlberg auf eine Stufe mit Sölden ein. Nicht die Startgebühr. Sondern beim Essen und Wohnen. Kein Wunder, dass Spar und Billa überfüllt sind. Eine Margherita für € 15,- kann und will sich nicht jeder leisten. Mit der Zeit findet man aber auch Preiswerteres. Vorausgesetzt, man schraubt die eigenen Ansprüche etwas herunter.
Zu erwähnen ist, dass das Wochenende rund um den Arlberg Giro am Samstag ein spannendes Kriterium für UCI-FahrerInnen mitten im Ortskern bietet. Und auch das Finisher-Geschenk lässt sich sehen. Heuer war es eine Regenjacke von AGU. Jacke, die die meisten gleich im Renneinsatz hatten. Der nächste Arlberg Giro findet am 4. August 2024 statt.
Arlberg Giro:
- 150 Kilometer
- 2.500 Höhenmeter
- 4 Verpflegungsstationen (Gortipohl km 60, Bielerhöhe km 82, Pians km 124, Ziel km 150)
- maximale StarterInnen: 1.5000
- Start: normal 6 Uhr
- Highlights: Arlbergpass, Abfahrt Stuben am Arlberg, Klostertal, Montafon, Bielerhöhe (Silvretta Hochalpenstrasse), Paznauntal
- Pastaparty: Ja, mit Gutschein
- Expo: Ja, mit verschiedenen Ausstellern, Bike-Service und Live-Musik
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