Ich war der Star beim diesjährigen King of the Lake. Hatte endlich alle möglichen Blicke auf mich gerichtet. Den ganzen Tag. Vor dem Rennen, beim Rennen und nach dem Rennen. Ich genoss es ausgiebig im orbitalen Mittelpunkt zu stehen. Auch wenn ich wusste, dass nicht ich das Objekt der Begierde war. Leider. Die volle Aufmerksamkeit galt meinem Esel aus Holz. Ich hatte mir das gute Stück erst vor einigen Stunden geholt. Ich wollte (und musste) unbedingt meine eigenen Erfahrungen mit dem MyEsel Holzfahrrad sammeln. Diesem einen. Bekannt aus Funk und Fernsehen.
MyEsel Fahrräder kann man individuell holzschneidern lassen. Muss man aber nicht. Sollte man aber. Unbedingt. Das ist ja auch ein großer Pluspunkt. Mein Esel war es nicht. Einem geliehenen Gaul schaut man eben nicht ins Maul. So brauchte ich schon eine Zeit lang, bis ich mir das Beste was aus dem Esel herauszuholen war, hoch- und auseinanderschrauben konnte. Mein perfektes Stack and Reach beherrsche ich sowieso im Schlaf. Den Rest zaubere ich mir anhand einiger Paramter zurecht. Sattelhöhe – Pedalachse, Boden – Unterkante Unterlenker und Sattelspitze – Mitte Lenker. Das geht fast immer. Fast. Ich war bereit für meine Erfahrungen mit dem Holzfahrrad. Und gespannt auf die Reaktionen.
Ein Rennrad aus Holz.
Logisch, dass ich mit dem Rennrad aus Holz zuerst durch die Expo spazierte. Dabei nutzte ich die Gelegenheit mich mit der Di2 (Ultegra) vertraut zu machen. Als bekehrter SRAM Jüngling eine nicht unwesentliche Umstellung und Einstellung. Ich hab’s nicht kapiert und ich will es nicht kapieren. Erspare mir deshalb alle Diskussion über das Rauf- und Runterschalten (leichter und harter Gang). Fakt ist, dass ich mehrmals ungewollt Kette links unterwegs war. Auch im Rennen. Egal. Für viele mag die Shimano Ultegra Di2 eine coole Sache sein. Es gibt Ausnahmen. Eine davon bin tatsächlich ich. Und weil wir schon dabei sind, können wir auch gleich das Thema Scheibenbremsen vorne weglassen. Sie waren am Rad. Und aus.
Wenn der erste Eindruck zählt, dann zählt der erste Eindruck von MyEsel doppelt. Der helle Holzrahmen sticht in Kombination mit den wuchtigen Rush 45 Panchowheels Clincher und der 3T Carbongabel samt Steuerrohr treffsicher ins Auge. Tief und fest. Der Rahmen zieht nicht nur die Blicke magisch an, sondern auch die Finger. Hingreifen, kurz anklopfen und staunen. Wer die Gelegenheit hatte, nutzte sie und ging auf Tuchfühlung. Egal wohin ich den Esel anlehnte. Er war nie allein. Rund um ihn wurde getuschelt und diskutiert.
Aus gutem Holz geschnitzt.
Die ersten Kilometer waren abgesehen von der Di2-Schmach ein erstes vorsichtiges Herantasten ehe es dann beim King of the Lake ordentlich zur Sache ging. Hätten meine Beine mehr hergegeben, hätte ich den Esel einem noch härteren Stresstest unterzogen. Und mit etwas mehr Vorbereitungszeit wäre auch noch die Dressur des Esels zum Rennesel möglich gewesen.
Stattdessen entpuppte sich das gefahrene Rennrad aus Holz als ausgesprochen komfortabler und alltagstauglicher Zeitgenosse. MyEsel war überhaupt nicht stur. Die lange Touristenrundfahrt am Sonntag war mit dem Esel eine laufruhige Angelegenheit. Steif genug im Antritt, spurtreu in der Abfahrt und ausgesprochen exakt beim Lenken – ich hatte keine Sekunde lang Bedenken, mich nicht am Oberrohr liegend die Grossalmstraße mit knapp 90 km/h Richtung Steinbach zu stürzen. Eng oder langezogen, alle Kurven machten bei hohem Tempo richtig Spass.
Mir war der Rahmen leider etwas zu kurz. Somit ist die subjektive Meinung etwas schaumgebremst. Was aber keinesfalls die Vorzüge des Rades schmälert. In Summe überwiegt die postivie Überraschung. Sogar laketterechts äußerte sich verhältnismäßig überemotional. Ihr Umstieg auf den Esel zauberte ihr ein Zahnarztlächeln ins Gesicht und einen Antritt, den ich bis dato von ihr nicht kannte. “Das Rad geht voll nach vorne” – klingt fast schon wie ein Fachkommentar. Hut ab.
Warum fährt man ein Holzrad?
Warum nicht. Es gibt keine Gründe die dagegensprechen. Diskussionen über Wetterfestigkeit, Gewicht, Aerodynamik oder Holzwürmer waren ziemlich lustig. Vor allem jene über Holzwürmer. Auch Blitzeinschläge wurden mehrmals genannt. Man sieht, wie vorgefestigt viele Meinungen sind. Kein Rennrad ist perfekt. MyEsel ist dafür auffallend fast perfekt. Ein Argument, welches sich zu den anderen gesellt, die dafürsprechen.
Man muss MyEsel gefahren sein, um MyEsel beurteilen zu können. Insofern war das Wochenende am Attersee für mich sehr aufschlussreich. Wer nicht mit der Masse schwimmen möchte, der findet im Rennrad von MyEsel den passenden Partner. Alltagstauglich ist das Fahrrad auf alle Fälle. Es geht stark in Richtung Granfondo.
Vielleicht schreibe ich ans Christkind. Oder an MyEsel selbst. Wünschen kann man sich ja vieles. Ein MyEsel Rennrad mit SRAM eTap Red 12fach zum Beispiel. Über die Scheibenbremsen diskutieren wir auch wieder nicht. Denn Felgenbremsen gibt es nicht. Noch nicht.
ktrchts
#machurlaubfahrrennrad