Schlagwort: Monte Zoncolan

SuperGiroDolomiti 2016 – in monte veritas.

Bericht von ketterechts - dem Rennradblog und Eventliveblogger
Fressen oder gefressen werden – Monte Zoncolan

Ein großer Torbogen empfängt uns über der strada provinciale 123. Wir befinden uns in Ovaro und biegen gerade, von Comeglians kommend, mitten in der kleinen Ortschaft links ab. Vor uns stemmt sich der unumstrittene Mythos des Radsports in den Himmel hinauf. Il Kaiser Monte Zoncolan. 10,5 km voller Leiden und persönlicher Geschichten. Schmerzen, die man sich nur als radsportbegeisterter Masochist antun will. Er ist wie ein riesiges Maul, das dich hier verschlingt und oben auf 1.750m vielleicht wieder ausspuckt. Einer nach dem anderen begibt sich in den Rachen des eigenen Schicksals. Es wird hochgeschaltet, was Kettenblätter und Ritzel hergeben. Klack. Sum. Klack. Der SuperGiroDolomiti 2016 hat seinen Höhepunkt. Spekulationen, Ängste, Hoffnungen – das alles zählt nicht mehr. Die ersten Rampen hinauf nach Liariis sind nur ein bitterer Vorgeschmack. Hier ist eine direkte Linie noch im Bereich des Machbaren. Die Pizzableche hinten helfen dabei, das Ganze noch halbwegs dynamisch und anschaulich zu gestalten. Man fühlt sich wie ein langsamer nach oben schleichender Rennradfahrer. Noch.

Die Auto-Pause trifft dich direkt ins Rennfahrerherz.

Nach der ersten ernstzunehmenden wie auch sehr kurzen Verschnaufpause ändert sich das Bild schlagartig. Die Einfahrt in die Hölle ist unscheinbar. Sie trifft dich aber mit voller Wucht. Es fühlt sich an wie eine unsichtbare Kraft, die dein Vorderrad ruckartig nach oben hebt und dich nach hinten wirft. Deine noch so bikegefittete Rennmaschine wird zum Chopper. Dein Garmin stoppt ob der zu geringen Geschindigkeit. Die Auto-Pause trifft dich direkt im Rennfahrerherz. Dein Stolz verabschiedet sich verächtlich. Jetzt ist die Psyche gefordert. Die nächsten 7,5 km entscheiden darüber, was deine Enkelkinder von dir erzählt bekommen. Der Berg ist bereit, dich abzuwerfen.

Ein Bericht von ketterechts - dem Rennradblog und Eventliveblogger
Schaut nicht nur steil aus – es ist auch so.

Mit großem körperlichen Einsatz stemmst du dich aber dagegen. Jeder Tritt ist ein kleiner Sieg gegen die Gesetze der Physik. Auch wenn der Rhythmus deiner Trittfrequenz nur mehr ein Trauermarsch in Moll ist. Dein Schicksal ist das der anderen um dich. Die gemeinsame Sprache ist ein wirres Zickzackfahren. Andernfalls ist die Steilheit hier kaum zu überwinden. Wer geglaubt hat, dass man mit den Beinen Rennrad fährt, der wird hier eines Besseren belehrt. Es sind die Arme, die ziehen, und der Oberkörper, der dabei mitgeht und einem balzenden Hahn täuschend ähnlich sieht. Der Monte Zoncolan ist wohl der einzige Berg, der mehr hält als er verspricht.

Steil. Steiler. Aufragend.

Es ist schon der Name, der einen müde macht. Zermürbt. Verlangsamt. Immobilisiert. Den Rest macht die Topografie. Ein untypischer Verlauf. Steil. Steiler. Aufgragend. Kaum eine Ecke, um sich auszuruhen. Kaum eine Möglichkeit, den Puls zu beruhigen. Kaum eine Chance, die Trittfrequenz zu erhöhen. Der Berg gibt vor. Du darfst ihm folgen. Widerstand ist zwecklos.

Noch fehlen knapp 2 km bis zur Erlösung. Du hast alles gegeben. Kannst nicht mehr. Und plötzlich verwandelt sich der Berg. Er schenkt dir unerwartet wieder Mut. Wenn du bis jetzt nicht gefallen bist, dann geht eine Tür ins Radfahrerparadies auf. Der Monte Zoncolan legt sich kurz flach vor dich hin. Du nutzt diese einzig verbliebene Chance, deine Brust zu schwellen. Alles macht wieder Sinn. Deine Gedanken enden nicht mehr oben am Scheitelpunkt. 10% Steigung fühlen sich verdammt abfallend an. Du bist wieder im Rennen. Beim SuperGiroDolomiti 2016. Nur noch die feuchten Gallerien. Dann die längsten 500 Meter deines Lebens. Die übliche Steilheit imponiert dir nicht mehr. Eine andere Welt. Die letzten drei Kehren sind deine Wiedergeburt mit starken Kontraktionen. Nach einer gefühlten Ewigkeit bist du oben und hast deine Radsportgeschichte neu geschrieben.

Die 123 km danach.

Der SuperGiroDolomiti 2016 war nicht nur der Monte Zoncolan. Gut. Dieser Berg stand sicher im Fokus vieler. Es gab aber auch noch den Gailbergsattel, zweimal den Plöckenpass, die Sella Valcalda und das Lesachtal samt Kartischer Sattel. Genug zusätzliche Höhepunkte, das Rennen nicht am Zoncolan gewinnen zu müssen. Oder zu verlieren. Die 10,5 km waren sehr schwer. Die 213 km sehr lang. Es hat aber Spaß gemacht. Wenn das nächste Jahr der Zoncolan wieder im Programm steht, komme ich wieder. Ansonsten auch.

Cristian Gemmato aka @_dieketterechts

PS: Die Teilnahme am diesjährigen SuperGiroDolomiti war wieder Teil meiner Rennradreise nach Osttirol in Zusammenarbeit mit quaeldich.

Rennradreise nach Kärnten, Friaul, Slowenien. Tag sechs.

Monte Zoncolan. Auch „il Kaiser“ genannt. 10,5 km mit 1.250 HM. Legendär. Bekannt aus Funk und Fernsehen. Vor allem vom Giro d’Italia. Mit seiner imposanten Bergankunft in einer Naturarena, die ihresgleichen sucht. Knapp 12% durchschnittliche Steigung und Spitzen von bis zu 22%. Diesen Berg muss man als Rennradfahrer mindestens ein mal im Leben gefahren sein. Gilt er doch als der steilste im gesamten Alpenraum. Geheimtipps ausgeschlossen. Tag sechs der quaeldich Rennradreise hatte dieses Monster am Programm.

Für mich war es heute der zweite Zoncolan innerhalb von nur 15 Stunden. Für viele die Premiere. Dementsprechend auch die Stimmung unter den Teilnehmern. Nervosität wie vor einem ersten Date. Respekt, Demut und etwas Angst war zu spüren. Der Zoncolan war Gesprächsthema Nummer eins am Vortag bei der Henkersmahlzeit. Schilderungen einiger, die schon oben waren wie „Er ist nicht steil, aber es ist das steilste was ich je gefahren bin“ nährten die gemischten Gefühle.

Geschafft haben ihn alle. Der eine im Eiltempo, die anderen gemütlicher. Ineinander und aneinander zick zackend. Schnaufend. Schwitzend. Fluchend. Heldenkurbelnd oder dreifach drehend. Was zählt ist aber, dass dieser Berg jetzt in vielen Erinnerungen verewigt ist. Und der eigentliche Höhepunkt dieser Rennradreise bei guten Wetter stattfinden konnte. Der Zoncolan ist gefallen. Es lebe der Zoncolan.

Meine zweite Auffahrt? Gefühlsmäßig härter als gestern. Von der Zeit habe ich mich trotzdem sogar um zwei Minuten verbessert. Dafür sind meine Beine jetzt ziemlich leer. Denn nach dem Zoncolan war noch der Passo Monte Croce Carnico/Plöckenpass zu fahren. Davor wurde aber wieder einmal eine Bäckerei geplündert. Diesmal in Paluzza. In Paluzza machten sich auch drei von uns aus dem Staub, um ihre Höhenmetersucht zu stillen. Forcella di Lius, Passo Cason di Lanza und Passo Pramollo. Insgesamt 101 km und an die 3.900 HM. Mehr sage ich dazu nicht.

Die gesamte Route ist ja so konzipiert, dass etliche Optionen zur Verfügung stehen, die Tagesetappen zu verkürzen oder wie eben oben geschrieben zu verlängern. Die Region bietet ja genug Auswahl namhafter Anstiege. Wie beispielsweise den Monte Crostis von Ovaro aus.

Der Plöckenpass ist von Paluzza aus 20 km entfernt. Die letzten 10 eine Orgie an Kehren. Eine gemäßigte Steigung verleitet die Laktatproduktion anzukurbeln. Dieses Mal war Max der Übeltäter. Jene die folgen konnten folgten. Ich hatte zum Glück wieder die Ausrede fotografieren zu müssen. Was ich auch tat. Somit war es keine Ausrede.

Gesund und trocken, müde und erschöpft, stolz und froh. Die Mannschaft liegt früh im Bett, während das WLAN diese Bilder hochlädt. Morgen siebter und letzter Tag. Mit weiteren zwei Pässen. Das Adria Tief hat uns bis auf einen Tag in Ruhe gelassen. Es soll aber dafür auf unserer Tour d’honneur zuschlagen. Wir warten mal ab.

Stay tuned.
Cristian Gemmato aka @_ketterechts

PS: ein Video vom Anstieg auf den Kaiser Zoncolan ist in Arbeit.