Eigentlich wollte ich in den Tiefen meines Kellers graben, um alle Finisher Trikots des Ötztaler Radmarathons vom Staub und den Motten zu befreien. Dazu bin ich noch nicht gekommen. Ich habe nämlich ein großes persönliches Interesse herauszufinden, wie oft ich bisher tatsächlich beim Ötztaler Radmarathon am Start gewesen bin. Die Rechnung mit dem Erinnern und Aufzählen geht nicht auf. Wahrscheinlich die Rechnung mit den Finisher Trikots auch nicht. Denn ich kann mich leider nicht mehr erinnern, ob solche damals Ende der 90er Jahre schon vergeben wurden. Ich weiß nur, dass ich mindestens zweimal von Steinach am Brenner aus, den Ötztaler Radmarathon in Angriff genommen habe. Digitale Statistiken sind wohl auch schwer zu finden. In den 2000er Jahren war ich regelmäßig dabei. Auch bei den Sauwetter-Editionen 2003 und 2013. Egal. Der Ötztaler Radmarathon 2024 sollte (dürfte) meine 19. Teilnahme gewesen sein. Und alles kam so, wie von mir nicht geplant. Weil ich nie einen Plan habe.
Das Rennen Anfang September – back to the roots.
Was gab es im vergangenen Jahr für ein Tohuwabohu! Einen Ötztaler Radmarathon Anfang Juli. Ein neuer Termin. Gekommen, um gleich wieder zu gehen. Zu heiß und zu früh. Das wohl gängigste Resümee der Teilnehmer. Der Ötztaler Radmarathon 2024 bekam dann doch wieder seinen traditionellen Platz am Ende des Sommers. Oder zu Beginn des Herbstes. Zu spät und vielleicht zu kalt. Die Angst vieler konnte man Wochen und Tage in den diversen Foren spüren. Eines vorweg – das Wetter hat gepasst. Bis auf den obligaten Regenguss am Timmelsjoch und hinunter nach Sölden, einfach perfekt. Die Frage, was wäre gewesen, wenn wir den aktuellen Wetterumschwung gehabt hätten (Schnee sogar in Sölden möglich), stellt sich nicht. Aber es wäre interessant zu wissen, was dann passiert wäre.
Fakt ist. 12 Grad zum Start, dann gutes Wetter und nicht allzu heiß (Ausnahme St. Leonhard – Anmerkung: War es in St. Leonhard jemals kühl?) und ein mächtiger Regenguss zwischen 15 und 16 Uhr rund um Sölden. Viel Vorsicht umsonst. Ein Durchfahren ohne Windweste und Ärmlinge vom Start weg wäre machbar gewesen. Auch wenn das Kälteempfinden eine subjektive Wahrnehmung ist.
Die üblichen Verdächtigen: Küthai, Brenner, Jaufen und Timmelsjoch.
Bei jeder Teilnahme überlege ich mir schon während der Fahrt, worüber ich einen Beitrag schreiben könnte. Einige Erlebnisse, wandle ich dabei beim Fahren schnell in Überschriften und Absätze um. Leider vergesse ich diese ziemlich rasch, denn erleben kann man beim Ötztaler Radmarathon einiges. Mir wurde heuer beispielsweise live Übertragungszeit geschenkt. Ein Interview mit Christoph Sumann am Küthai und zwei Einblendungen während der Übertragung haben mir die Möglichkeit gegeben, zwei ans Herz gewachsene Begleiter (My Esel und BlacksheepEyewear) als Produkt zu platzieren. Dass ich beim Ötztaler Radmarathon einen Prototyp am Kopf getragen habe, hätte nicht besser inszeniert werden können.
Wie ich schon des Öfteren erwähnt und geschrieben habe, verlaufen beim Ötztaler Radmarathon in etwa 100 Kilometer bergab. Das kam mir auch dieses Mal sehr entgegen. Mit etwas überhöhtem Systemgewicht habe ich die Bergauf-Passagen weniger interessant empfunden. Die Abfahrten dagegen umso mehr. PR auf allen Abschnitten und Segmenten. Erstaunlicherweise auch den gesamten Teilabschnitt Küthai Passhöhe – Brenner. Liegt wohl an der großen Gruppe von Kematen bis zur Labe am Brenner. Die 105,5 km/h in der Abfahrt vom Küthai eventuell auch.
Mein Ötztaler Radmarathon kann wie folgt zusammengefasst werden: Abfahrt nach Ötz kontrolliert (samt Plauderei mit Thomas Dressen), Anstieg zum Küthai dosiert, Downhill nach Kematen teleportiert, längster Anstieg zum Brenner übertrainiert, Schuss nach Sterzing motiviert, hinauf zum Jaufenpass stimuliert, kurvenreich nach St. Leonhard in Passeier frustriert, erster Teil Timmelsjoch bis Moos kollabiert, zweiter Teil Timmelsjoch bis Schönau paralysiert, ab Schönau nach ein paar (vielen) Schweden Tabletten revitalisiert, auf der Passhöhe reinkarniert und die Abfahrt nach Sölden unkontrolliert auf nasser Fahrbahn. Alles in allem ein lustiger, wenn auch langer Tag am Rad.
Viel Geld für noch mehr Leid.
Allen, die das Ziel erreicht haben, ein Chapeau aus tiefstem Herzen. Von den ersten bis zu den Nachzüglern. Speziell jenen, die sich mit letzter Kraft das Timmelsjoch hochgeschraubt und dann hinuntertreiben haben lassen. Sie sind die wahren Helden dieser Veranstaltung. Wie Anton Palzer passend gesagt hat: 13 Stunden leidend Rennrad fahren und dafür auch noch bezahlen. Chapeau, natürlich auch jenen, die irgendwo entlang der Strecke nicht mehr weiter konnten oder durften. Ja, die Zeitlimits sind brutal. Speziell jenes am Jaufenpass. Hier glaubt jeder, es noch schaffen zu können. Aber der Rennleiter 3 ist oben am Pass ohne Erbarmen. Um 1430 Uhr ist hier Ende. Kopf hoch. Dankbar sein für die Erfahrung, daraus lernen und schnell einen neuen Anlauf nehmen.
Rennradfahrer sind echte Schweine.
Kommen wir aber jetzt zu den Schattenseiten des Ötztaler Radmarathons – das Littering. Man muss schon ein echtes Schweinderl sein, um den Müll einfach auf die Straße oder den Straßenrand zu werfen. Und das, obwohl beim Fahrerbriefing explizit darauf hingewiesen wurde. „Das Wegwerfen von Müll ist außerhalb der dafür vorgesehenen Zonen verboten und wird mit einem Ausschluss aus dem Rennen geahndet.“ Und was machen wir (einige von uns)? Werfen den Müll einfach weg. Gels, alte Kleidung, Trinkflaschen … Sogar live im TV bei der Übertragung. Ein Führender wirft beim Anstieg zum Küthai seine Flasche weg. Ungeniert. Verkorkste Kinderstube würde ich sagen (um politisch korrekt zu bleiben – mir würden ganz andere Sachen dazu einfallen). Absichtlich die Natur verschandeln. Dummheit, die jemand anderer ausmerzen muss. Ein Spiegelbild unserer Gesellschaft. Traurig.
Da war auch noch eine Dame hinauf aufs Küthai. Wirft die einfach ihr Gel weg. Obwohl ein hinter ihr fahrender sie darauf aufmerksam macht, fährt sie mir nichts, dir nichts einfach weiter. Arroganz auf zwei Rädern. Ich (ja ich!) bin am Brenner sogar nach dem Pinkeln zurückgefahren, um meinen Müll in die nicht übersehbare Tonne bei der Labestation einzuwerfen. Aus meiner Sicht gehört da viel mehr Härte seitens der Veranstalter. Mit Eigenverantwortung kommt man nicht weit – so ist der Mensch. So sind auch die RadfahrerInnen.
Kein Rennen, wie jedes andere.
Der Ötztaler Radmarathon 2024 war wieder einmal kein Rennen wie jedes andere. Das kann der Ötztaler Radmarathon nicht. Und will es auch nicht. Man spürt das Spezielle an jedem Eck und sieht dies auch jedem Gesicht an. Von den TeilnehmerInnen, über die HelferInnen, die Damen und Herren auf der Expo und auch in den Unterkünften. Der Ötztaler Radmarathon fesselt dich schon Monate davor und lässt dich Wochen danach immer noch nicht los. Schon jetzt wird darüber diskutiert, wie das Wetter am 31. August 2025 sein könnte. So etwas kann nur der Ötztaler Radmarathon. Zurecht.
Es ist diese Wärme, die man als TeilnehmerIn empfängt. Auch an der Strecke. Vom Start weg über die vielen Hotspots entlang der 227 Kilometer. Beste Stimmung und Unterstützung für alle. Das ist der Spirit des Ötztaler Radmarathons.
Und dann kommen noch die vielen BegleiterInnen, die ein ganzes Jahr die Launen der Partnerin oder des Partners ertragen müssen und mit ihnen sogar nach Sölden fahren dürfen (müssen?). Respekt und Danke. Für eure Zeit, eure Geduld, eure Aufopferung. Der Ötztaler Radmarathon ist ein teures Hobby. Eines, das jede Beziehung, wenn nicht beide vom Ötzi-Virus infiziert sind, schwer auf die Probe stellt und das ganze Familienleben rundherum organisiert. Das muss auch einmal gesagt und festgehalten werden. Für den Ötztaler Radmarathon lebt man ein ganzes Jahr lang. Vielleicht sogar ein Leben lang.
Ungewisse Zukunft – dasselbe Procedere.
Der 44. Ötztaler Radmarathon im nächsten Jahr, wirft jetzt schon seine Schatten voraus. Die Zukunft der heimlichen Weltmeisterschaft für HobbyfahrerInnen ist noch offen. Aufgrund der Baustelle auf der Brennerautobahn (Luegbrücke) gibt es derzeit noch keine Genehmigungen. Das OK-Team rund um Heike Klotz und Dominic Kuen haben alle Hände voll zu tun, das Event zu sichern, um am 31. August 2024 über 4.000 TeilnehmerInnen erneut auf Traumfang zu schicken. Auch wenn die Zukunft (noch) ungewiss ist – das Procedere ist dasselbe. Träumen, anmelden, Startplatz sichern, Familie informieren, trainieren, kalte Füße bekommen und dann einfach in die Pedale treten, um sein persönliches Ziel zu erreichen. Als Belohnung wartet die schönste Rechtskurve der Welt. Jene von der Dorfstraße direkt vor die Ötztal Arena. Hier gibt es den Lohn für alle Strapazen.
Cristian G.
#ktrchts
PS: Sollte die Gesundheit und die Glücksfee mitspielen, wäre 2025 meine 20. Teilnahme. Den Rekord hält Martin Strobl (heuer 79 in einer Zeit von 11 1/2 Stunden) mit 34 Teilnahmen. Jetzt habe auch ich einen Traum.
Ein paar Ideen für 2025.
Viel wurde heuer über zwei Themen diskutiert. Die über Nachhaltigkeit und über die Frauen vor den Vorhang. Beide Themen gehören noch stärker inszeniert. Frau eine andersfarbige Startnummer zu geben, ist zu wenig.
Ich wünsche mir einen eigenen Startblock für Frauen. Für jene, die nicht vorne starten dürfen (!) und nicht weit hinten starten wollen. (weil zB. der Partner/die Partnerin mitfahrt). Ein eigener Bereich vor dem 2. Startblock zum Beispiel. Mit Zugang von vorne. So hätten die Damen auch das Privileg, später an den Start gehen zu müssen. Wenn es dann noch im Zielbereich einen „Womans only“ Bereich geben würde, mit speziellen Services für Frauen, umso besser.
Und wer bei der Abholung der Startnummer ein gültiges Zugticket vorlegen kann, soll auch Vorteile haben. Ich denke da auch einen vorderen Startblock.
Was meint ihr dazu?