Wien ist groß, Wien ist anders, Wien ist anstrengend. Nein, nicht die Stadt. Die auch. Manchmal. Es ist anstrengend, wenn man mit dem Rennrad rund um Wien fahren will. Nicht in Wien, nicht durch Wien, sondern ein Mal rundherum ohne dabei das Stadtgebiet zu betreten. Dann sind es nämlich knapp 100 Meilen oder wie am vergangenen Samstag exakt 158 km. „Roundabout Vienna“ heißt dieser Spass, den eine noch überschaubare Anzahl an „Velocisti“ über sich ergehen hat lassen. Freiwillig. Versteht sich von selbst. Von Mödling bis Mödling. Durch den Wienerwald, das Marchfeld und zwei Mal über die Donau. Bei am Ende traumhaftem Herbstwetter. Die erschöpften Gesichter strahlten am finalen Checkpoint Hofer-Filiale mit der tiefstehenden Sonne um die Wette.
Viagra für die Rennradfahrer-Seele.
Die Route rund um Wien bietet eine Vielzahl unterschiedlicher Highlights. Wie beispielsweise die zweimalige Überquerung der blauen Donau. Einmal mit der Rollfähre von Klosterneuburg Richtung Bisamberg und ein zweites Mal bei Orth an der Donau mit einem Behelfsboot nach Haslau. Erstere ist wenig spektakulär und recht solide. Nebelunfälle ausgeschlossen. Zweitere hingegen ist wohl von der Gattung „Stoßgebet“. Hier steuert der Kapitän 10 Räder samt Fahrer knapp über der Wasseroberfläche je nach Wellengang und Strömung irgendwo ans andere Ufer. Mit Spritzgarantie. Es empfiehlt sich, vorher ein schnelles Telefonat mit dem Liebsten zu führen und die eigenen Koordinaten für eine eventuelle GPS-Suche freizugeben. Man weiß nie. Blindes Vertrauen ist eine Sache. Die vielen Strudel und die aus dem Wasser herausragenden Steine eine andere.
Nach drei Überfahrten und kollektivem Wandertag über Baumstamm und Stein Richtung „Austria next Top Asphalt“, war das Teilnehmerfeld wieder komplett und zur Weiterfahrt bereit. Die Wartezeit hätte für ein Lagerfeuer und saftige Steckerlfische gereicht. Statt dessen gab es eine kostenlose Apache-Hubschrauber-Show. Diese Stahldinger sind ziemlich laut. Speziell dann, wenn sie einem auf Augenhöhe begegnen.
Mit dem Rennrad rund um Wien.
Wessen Ideen es war, Wien so zu umrunden, weiß ich nicht. Auf alle Fälle eine gute und geniale Idee. Es war heuer meine dritte Teilnahme. Von sechs. Seit Siggi dieses „end-of-summer“ Großereignis in die Hand genommen hat, fahre ich mit. Bin quasi Wiederholungstäter-Light.
Roundabout Vienna ist kein Rennen. Dafür eine gemeinsame Ausfahrt mit Freunden. Teilweise mit Renncharakter. Wenn der Wind von hinten schiebt, geht vorne meistens die Post ab. Wind aus Nordwest ist dabei die beste Konstellation, die man sich auf dieser Runde wünschen kann. Dann vergehen die 50 km nördlich der Donau mit einem Schnitt jenseits der 30 km/h. Anders geht es auch. Bei starkem Ost- oder Südwind muss man ganz schön schwitzen, um nicht vom Rennrad zu fallen.
Diesmal war das Wind-Glück auf der Seite der Mutigen, die sich um 9 Uhr am Treffpunkt gezeigt hatten. Einige trotz kühler Temperaturen im einstelligen Bereich optimistisch (oder eher hartgesotten) im Sommer-Dresscode.
Die Wiener Rennrad-Szenerie.
Mit dem Rennrad rund um Wien bedeutet auch, fast alles zu sehen, was die Stadt für Rennradfahrer bieten kann. Außerhalb der Stadtgrenze. Sanfte Anstiege im Wienerwald, teilweise verkehrsarm und in gutem Zustand. Den höchsten Punkt auf 525 Metern in Hochtorherd – die Cima Coppi. Die Atemberaubende Fernsicht am Tulbinger Kogel. Flache, windanfällige Passagen, Querfeldein-Spaziergänge nach den Landung in Haslau und die dortige Hölle. Keine ganz normale Berggasse, sondern die Berggasse. Sie lässt die Herzen höher schlagen und deckt unverschämt auf, wer über den Sommer gut trainiert hat. Oder wer rechtzeitig die richtige Übersetzung wählen kann. Einmal Absteigen heißt hier, Rennrad schieben.
Roundabout Vienna lässt sich in der Gruppe gut bewältigen. Die Möglichkeit sich taktisch zu verstecken und mitzurollen ist gegeben. Zum Glück gibt es immer welche, die gerne im Wind fahren wollen und sich in den Dienst der Gruppe stellen. Kritisch wird es nur, wenn da und dort das Rennfahrer-Herzblut durchgeht oder auch die Disziplin auf der Strecke bleibt. Schnell sind da ein paar „Löcher“ offen, die man schließen muss.
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Disziplin ist auch das Zauberwort. Wenn knapp 30 Velocisti die Straßen rund um Wien belagern, ist Ordnung geboten. Eine schöne und saubere Zweierreihe ist schon einmal der Anfang. Denn immer noch nicht ganz bei den Autofahrern durchgedrungen ist die „Erlaubnis„, dies tun zu dürfen.
Ungezwungen und miteinander Wien umrunden.
„Roundabout Vienna“ spiegelt sehr die Wiener Rennradszenerie wider. Sie ist ein ungezwungenes Miteinander. Und sie wächst. Bereits im April 2015 habe ich darüber einen Beitrag geschrieben. Seit dem hat sich vieles getan. Die Familie ist größer geworden. Aus ehemaligen „Facebook Gruppen“ sind „Racing Divisions“ geworden. Professionell. Mit Altersklassen-Staatsmeistertiteln und dergleichen. Dank der sozialen Netzwerke findet Mann und Frau sich in und rund um Wien da und dort zu einer gemeinsamen Ausfahrt. Oft auf Initiative einiger Unermüdlicher. Egal wie lange und egal wie weit: Hauptsache Rennrad fahren. Mit oder ohne Pausen für Kaffee und Kuchen.
Wien ist groß, Wien ist anders und Wien hat das gewisse Rennrad-Etwas. Glücklich, wer den Rennradsport hier leben kann. Auch wenn es manchmal nicht so einfach ist. Aber das wäre wieder eine andere Geschichte. Passend zur Wiener-Melancholie eine fast perfekte „Raunzer-Geschichte“.
ktrchts
PS: Mit dem Rennrad rund um Wien – 7th Roundabout Vienna 2019, am letzten Samstag im September. Oder so. Je nach Wetter. Und Wind.