Kategorie: Rennradgeschichten

Geschichten rund ums Rennradfahren

Rad fahren im Winter. Unmöglich möglich.

Rad fahren im Winter

Leise rieselt der Schnee. Nicht zu Weihnachten, aber doch noch mitten im Hochwinter. Im flachsten Teil der Alpenrepublik Österreich. Winterwonderland im Burgenland ist eine Seltenheit und ein wunderschönes Schauspiel, welches oft nur wenige Stunden dauert. Denn fallen endlich wieder einmal Schneeflocken vom Himmel und bleiben diese auch liegen, werden Straßen, Rad- und Gehwege sofort geräumt und gesalzen. Das Weiß wird schnell grau und braun. Die Fahrbahn wird rasch nass und dreckig. Rad fahren im Winter wird so in Windeseile unmöglich möglich.

Burgenlands Radwege im Winter
Burgenlands Radwege im Winter – Spielwiese für Quad-Fahrer?

Radweg oder Rad weg?

Vielleicht gibt es immer noch Menschen, die im Auto die Göttin der Fortbewegung sehen. Doch die Mobilität hat sich hierzulande verändert. Auch in der kalten Jahreszeit. Rad fahren im Winter ist nicht nur mehr Auserwählten (Spinnern) vorbehalten. Viele wollen Rad fahren, einige müssen. Egal ob jetzt als AlltagsradlerIn oder SportlerIn. Es ist aber nicht immer leicht. Ein gesundes Weiterkommen scheitert mancherorts an gesetzlichen Vorschriften, Überpflichten, aber auch an Versäumnissen. Nicht immer ist Gutes gemeint, auch Gutes gewollt. Es scheint, als gäbe es im Winter keinen Platz für RadfahrerInnen.

Geräumte Straßen oder Radwege müssen nicht zwangsläufig ein Vorteil sein. Auch nicht geräumte. Wenn beispielsweise ein Traktor, ein Auto oder auch ein paar lustige und gelangweilte Quad-Fahrer im frisch gefallenen Schnee tiefe Spuren hinterlassen. Abenteuerlust wird schnell zum Abenteuerfrust.

Andere Länder, andere Sitten.

Dass man in Sachen Schneeräumung nicht päpstlicher sein muss als der Papst, zeigen die Nordeuropäer. Sicher, anderes Klima, längere Kälteperioden … alles verständlich und nachvollziehbar. Andere Länder, andere Sitten. Dort wird genommen, was kommt. Kommt Schnee? Who cares?

Snowy day yesterday here in Oulu. I went to check how many people arrived by bicycle at this local Kastelli school & community center. Check it out 👇
#MeanwhileInOulu #Oulu 🇫🇮

As you can see, no one can use bicycles in winter 🤗

Oh, and the weather conditions yesterday: Snowy, windy, and about -12°C, down to -22°C with wind chill.

Originally tweeted by Pekka Tahkola 🇺🇦 (@pekkatahkola) on 14. December 2022.

Der Spagat zwischen Wunsch und Realität.

Der Fahrradmarkt boomt und der Anteil der RadfahrerInnen im Alltagsverkehr steigt. Trotzdem scheint das Auto immer noch privilegiert zu sein. Nicht nur im Winter. Stichwort Seitenabstand. 11 von 10 AutofahrerInnen halten sich nicht daran. Da hat die Frau Bundesministerin, Frau Gewessler noch viel Arbeit vor sich. Aber das ist ein anderes Thema. Als Radfahrer im Winter werde ich gezwungen, ein höheres Risiko in Kauf zu nehmen. Es wird mir weniger Platz gegeben. Platz, der mir ohnehin schon fehlt. Weil am Straßenrad der weggeräumte Schnee liegt und die Gratwanderung zwischen Leben und Spital dadurch risikoreicher wird.

Ich muss nicht Rad fahren? Stimmt. Aber das ist Doppelmoral. Soll ich mich nur dann umweltfreundlich fortbewegen, wenn es gerade passt und keine Autos benachteiligt werden? Tu felix Austria. Wie immer und überall.

Klimawandel als Problem und Lösung.

So sehr das große Ganze dramatische Ausmaße erreicht hat und womöglich den Plafond noch nicht erreicht hat. Mir kommt der Klimawandel entgegen. Die Tage des freiwilligen Verzichtes auf das Fahrrad werden immer weniger. Die äußerlichen Bedingungen immer besser. Der letzte Wintereinbrauch im Burgenland hat nach exakt zwei Tagen seine Gefährlichkeit bereits wieder verloren. So ein Spuk dauert nicht lange. Genauso wie mein Frust, beim winterlichen Radfahren von Wasser, Salz, Match, Dreck, Schmutz, Traktorspuren, Quad-Rillen, Autofahrern und Schneehaufen gestört worden zu sein.

#ktrchts

Welcher Festive500 Typ bist du?

Festive500 Typ

Alle Jahre nicht schon wieder. Die Festive500 stehen vor der Tür. Und jeder weiß ganz genau, was das bedeutet. 500 Kilometer radeln. Zwischen Weihnachten und Neujahr, Vanillekipferln und Karpfen, Schweinsbraten und Tiramisu, Familie und Verwandte. Dazu kommt noch das Radeln gegen den Wind und gegen das Wetter, bei Schnee und Eis, bei Tag und bei Nacht. 500 Kilometer in 8 Tagen sind nur 62,5 Kilometer pro Tag. Nicht viel, aber zu viel für die Zeit, die eigentlich die stillste im Jahr sein sollte. Diese Challenge hat‘s in sich und ist auch für dich die Möglichkeit, dir selbst am Ende des Jahres eine besondere EGO-Krone aufzusetzen. Bist du dabei? Wenn ja, hast du dir schon einmal Gedanken darüber gemacht, welcher Festive500 Typ du eigentlich bist? Vielleicht findest du dich irgendwo wieder.

Draußen oder drinnen?

Der Streber. Die Streberin.

Dieser Typ RadfahrerIn hat sich in den letzten Jahren stark evolviert und ist auch dank der Challenge über sich hinausgewachsen. Diese Typen fackeln nicht lange herum und setzen der Festive500 ihren eigenen Stempel auf. Ihr Credo lautet – nonstop oder gar nicht. Der Streber und die Streberin brauchen also nur einen Tag, die Challenge erfolgreich abzuschließen. Krank, aber geil.

Der Mimimi. Die Mimimi.

Ich weiß nicht. Zu kalt. Zu wenig Zeit. Viel zu gefährlich. Die Familie ist wichtiger. Ich brauche das nicht. Es gibt keine Ausrede, die dem Minimis zu blöd ist. Sie sind zwar dabei, scheitern aber meistens an sich selbst. Am Ende stehen vielleicht 100, 200, 250 oder auch 300 Kilometer zu Buche. Kilometer, mit denen sie dann versuchen, doch und dank der Ausreden ein bisschen vom magischen Festive500 Helden- und Heldinnenstatus abzubekommen.

Mimimi by sweets.ch

Der Noch-Denker. Die Noch-Denkerin.

Diese Typen denken von Anfang an, dass sie noch so und so viele Kilometer zu strampeln haben und dass noch so und so viele Tage zur Verfügung stehen. Noch 500 Kilometer und noch 8 Tage sind der Anfang und jeder Kilometer und Tag bringt sie näher an das Ziel heran. Was sich mit noch 500 und wenig später mit noch 499 Kilometern frustrierend anfühlt, wird von Kilometer zu Kilometer besser. Was sich mit noch 8 Tage freudig anhört, lässt hingegen mit noch 7, 6 … hingegen immer mehr Stress aufkommen. Noch-Denker und Noch-Denkerinnen sind gefangen im Zwiespalt zwischen Erreichtem und Verbleibenden. Ihr Problem? Noch wenig erreicht und noch weniger Tage Zeit.

Die Schon-Denker. Die Schon-Denkerinnen.

Schon-Denker und Schon-Denkerinnen sind das Gegenteil der Noch-Denkenden. Ihr Dilemma und die Zwiespalt liegt genau andersrum. Sie zählen, was sie schon erreicht haben und wie viele Tage schon vergangen sind. Das ist praktisch, wenn man fleißig und konsequent war. Ihr Problem? Schon zu wenig erreicht und schon zu viele Tage vergangen.

Der Buchhalter. Die Buchalterin.

Die Buchhalter haben einen genauen Plan. Für sie sind die 8 Tage penibelst verplant. Das Zeitkontingent ist straff reglementiert. Die einzelnen Tages-Einheiten zwischen Elternbesuch, Kinderdienst, Verwandtentratsch und beruflicher Karriereleiter hineingequetscht. Wiederholungstäterinnen planen dabei genug Puffer ein. Mann und Frau weiß ja nie.

Hilfsmittel der BuchhalterInnen

Der Indorianer. Die Indorianerin.

IndorianerInnen gehen auf Nummer sicher und stellen sich der Festive500-Challenge selbstbewusst und unerschrocken einfach nur Indoor. Sicher ist sicher. Flexibilität und Wetterunabhängigkeit sowie ein gewisses Maß an situationselastischem Zeitmanagement sind die stichhaltigen Werte dieses Festive500 Typ. IndorianerInnen sind nicht selten auch NetflixianerInnen. Am Ende der Festive500 haben sie nicht nur 500 Kilometer am Konto, sondern auch die neuesten Serien intus.

Der Polarisierende. Die Polarisierende.

Im Gegensatz zu den IndorianerInnen gehen die Polarisierenden nach draußen. Für sie ist das Hier und Jetzt in freien Natur. Ausschließlich in freier Natur. Je kälter und winterlicher, desto besser. Ihr Ziel ist die Glorifizierung (und die Eismumifizierung) ihrer Outdooraktivität. Besonders im alpinen Raum und in der nördlichen Hemisphäre sind die Polarisierenden gegenwärtig. Denn jeder kann bei Plusgraden und Sonne Rad fahren gehen. An dieser Stelle schöne Grüße an alle, die sich auf der südlichen Halbkugel oder in wärmeren Gefilde befinden.

Der Spätzünder. Die Spätzünderin.

Die Spätzünder und die Spätzünderin tun alles, probieren alles und versuchen alles. In letzter Instanz. Ihr Weg ist das Ziel. Sie verkörpern eine situationsbedingte Mischung aus allen Typologien. Sie beißen und verbeißen sich am Ende der Challenge, um doch noch zu reüssieren. Aus Ihnen hat sich möglicherweise der Typus Streber entwickelt. Aus einer Not heraus. Ihre Motivation? Erst. Erst eine geringe Anzahl an Kilometer und schon viele Tage vergangen. Mit der logischen Konsequenz einer kilometerweiten Glanzleistung.

Welcher Festive500 Typ bist du jetzt? Schreibe es gerne in die Kommentare. Auf alle Fälle gutes Gelingen, frohe Festtage und einen guten Rutsch ins neue Jahr.

ktrchts
#machurlaubfahrrennrad

Istria300 – oder die Angst vor sich selbst.

Istria300

Was Mütter sagen, hat immer Hand und Fuß. Manchmal dauert es Jahre, bis man das versteht. Am Start der Istria300 ist mir das so richtig bewusst geworden. Die Worte meiner Mama, dass man im Leben immer ganz genau wissen soll, wo man hingehört, haben um Punkt 7 Uhr des 8. Oktobers 2022 den Lügentest bravourös bestanden. Ich weiß jetzt, dass ich im ersten Startblock eines Radmarathons, nur knapp hinter dem Führungsfahrzeug, nichts, aber schon gar nichts verloren hatte. Die feinen Vorteile dieses Daseins verflogen rasch nach der Aufhebung der Neutralisierung. War es bis dahin ein halbwegs gesittetes Dahinrollen mit der Meute, die sich unaufhaltsam von hinten herangeschlichen hatte, blieb danach nur mehr die Flucht nach ganz rechts. Um nicht gleichzeitig überrollt, überfahren und überfordert zu werden. Mehr als 300 Watt ab Kilometer drei sind für ein Unterfangen, welches bis zu 12 Stunden dauern sollte, einfach nicht ratsam.

Meer, Sonnenuntergang, Trüffel und Burek.

Istrien, Poreč, Sonnenuntergang, Meer, Trüffel, Burek … eigentlich reicht das aus, um sich immer wieder hier her zu verirren. Besitzt man eine Yacht (eine wirklich große Yacht), dann ist das Ankern im Hafen sowieso ein Muss. Nennt man aber ein Rennrad sein Eigen, dann ist die Teilnahme an Istria300 die Kür einer langen Radsaison. Heuer fand dieses einzigartige Event zum zweiten Mal statt. Bei besten Bedingungen. Und dieses Mal ohne Bora. 155, 230 oder 300 Kilometer über knapp 2.000, 3.600 oder 5.400 Höhenmeter. Mittendrin statt nur daheim, wie sollte es anders sein, meine Wenigkeit. Unentschlossen von Anfang an, die abschließende Krönung zu beantragen. Um es gleich vorwegzunehmen: Wieder nur die 230 Kilometer solide beendet. Gescheitert an der Altersvernunft. Die Komfortzone ist schon etwas Schönes.

Die Teilnahme an Istria300 ist unbedingt mit einem Kurzurlaub zu verbinden. Auch weil die Partnerhotels von Valamar (Hauptgeldgeber der Veranstaltung) mit einer Mindestaufenthaltsdauer von drei Nächten samt Rabattcode locken. Eine durchdachte Strategie. Als Touristiker ziehe ich meinen Hut. Ein paar Tage in Poreč sind kurzweilig. Die Touren rund um die Hafenstadt vielfältig und empfehlenswert. Nicht umsonst, war Poreč lange Zeit auch Brennpunkt vergangener Rennradreisen.

Österreich Enklave Istrien.

Geschichtlich betrachtet war Istrien einmal Teil der Kaisertums Österreich. Danach wechselten die Herrschaften. Noch heute findet man in Istrien zum Beispiel Spuren italienischer Vergangenheit. Neben den sowieso anzutreffenden Urlaubern aus Deutschland, sind es aber immer noch die ÖsterreicherInnen, die Istrien fest in der Hand haben. Das fängt bei der Istria300 Organisation an und findet in der Zweidrittelmehrheit der TeilnehmerInnen seine Bestätigung. Neben „dobro“, „hvala“, „molim“ oder wahlweise „dobro jutro“, „doberdan“ bzw. „dobra večer“, kann ungeniert Deutsch gesprochen werden. Auch weil, sich die schlauen Einheimischen, insbesondere KellnerInnen, Bar- und RestaurantbesitzerInnen, den zahlenden deutschsprachigen Touristen gut angepasst haben. Mit zynischem und lakonischem „Servas“ oder „Pfiat di“ werden den Urlaubern Heimatgefühle vorgegaukelt. Eine Art Koratien-Saga.

Eines ist in Istrien noch (ab 1. Jänner 2023 wird diese Herausforderung wegfallen) wichtiger als die Bereitschaft sich genussvoll zu quälen. Nämlich das Rechnen. Trotz der Tatsache, dass Kroatien bei der EU ist und trotz der Tatsache, dass sämtliche Reiseführer behaupten, in Istrien würde der Euro als Zahlungsmittel gelten, wird dieser kaum bis gar nicht akzeptiert. Kuna über alles. Die Suche nach einem fixen Wechselkurs kann man sich sparen. Und bei jeder Behebung am Bankomat, werden 3 – 5 Euro Gebühren und Spesen eingehoben. Das lässt die guten alten Zeiten des Geldwechselns zu Hause bei der Hausbank (wer hat denn noch eine?) vermissen.

300 Kilometer sind lang. Ziemlich lang.

300 Kilometer sind lang. Ziemlich lang. Dieses Ziel gleich zu Beginn der Istria300 aufs Spiel zu setzen, war nicht Teil meiner Rennstrategie. Diese lautete (ohne wirklich daran zu glauben), vor 1230 Uhr in Pazin zu sein, um dann heroisch auf die lange Strecke abzubiegen. So musste (und wollte) ich die Schmach des sich Durchreichen lassen widerwillig und stoisch, aber besonnen auf mich ergehen lassen. Hunderte hechelten an mir vorbei. Niemand wollte meinen komfortablen Windschatten. Noch. Mein Einzelzeitfahren füllte ich mit Foto- und Filmaufnahmen.

Über Rennstrategien könnte man sowieso einen eigenen Beitrag schreiben. Einen, der tief in die Psyche einiger durchdringen müsste. Nicht jener, die vorne weg sind. Die wollen das und können das. Es sind vielmehr andere, die mich beschäftigen. 300 Kilometer sind lang. Auch 230 Kilometer sind es. Warum also, Kraft und Energie gleich zu Beginn zu vergeuden? Genau dieser Frage würde ich gerne nachgehen.

Europameister und Paris Roubaix Sieger.

Wir kennen es alles. Das Bild von Sonny Colbrelli nachdem er 2021 die Schlammschlacht Paris Roubaix gewonnen hatte. Im selben Jahr wurde Sonny UCI Europameister. Bei der Vuelta erlitt er dann einen Herzstillstand. Heute lebt er mit einem Defibrillator im Körper. Ob er je wieder Rennen fahren wird, weiß niemand. Er auch nicht. Mit ihm eine Runde drehen zu können und Trüffel-Tagliatelle zu essen, war deshalb etwas ganz Besonderes. Der Typ ist einzigartig. Seine neue Lebenseinstellung vorbildlich. Seine Kraft nach wie vor unglaublich. Ihm zuzusehen, wie kompakt er am Rad sitzt oder einfach nur steht – wie aus dem Lehrbuch. Grazie Sonny.

Ride your Limits.

Das Interessante an Istria300 ist die Tatsache, dass trotz der vielen Höhenmeter eine ganz andere Durchschnittsgeschwindigkeit gefahren werden kann. Und muss. Will man die Zeitlimits schaffen. Weil es keine langen Auffahrten gibt und die Höhenmeter bei ständigem auf und ab über die Distanz verteilt aufs Konto gutgeschrieben werden. Das ist im Vergleich zu einem Ötztaler Radmarathon nicht minder anstrengend, es fühlt sich aber anders an. Drücker sind im Vorteil und Schwergewichte wie ich können sich da und dort gut über die Hügel schwindeln.

Die fehlende Bora (einmal reicht) und die Streckenkenntnis haben dazu geführt, dass auch ich das erste Zeitlimit mit weniger Bauchschmerzen erreichen und passieren konnte. Auch danach war es solides Dahinrollen. Trotz einiger Streckenänderungen wie die Durchfahrt bei Labin und eine Rampe am Weg nach Pazin. Pazin, das ich genau um 1220 Uhr erreichen konnte. Trotzdem ließ ich mich verleiten, nach links auf die 230 Strecke abzubiegen. Noch heute ärgert mich das. Ich habe mich vor mir selbst angeschissen und das Finish einem möglichen Sterben vorgezogen. Dass man im Alter vernünftiger wird, ist kein Vorteil. Plan B also. Damit war die Kraft frei für die letzten ca. 85 km.

Ohne wenn, aber mit viel aber.

Ab Pazin ging also die Post ab und ich spendete genügend Windschatten. Auch für jene, die anfangs keinen wollten und sich entlang der Strecke hinter mich gesellten. Mir gefiel die Rolle des Gejagten. Ein paar Versuche in der Führungsarbeit abgelöst zu werden (auf dem Weg zur goldenen Ananas) scheiterten an der kollektiven Arbeitsverweigerung der restlichen Gruppe. Es blieb mir also keine andere Wahl, als bei der nächsten besten Gelegenheit die Flucht nach vorne zu ergreifen und fast solo das Ziel zu erreichen.

Am Ende blieben viele Fragen offen. Ohne wenn, aber mit viel aber. Was wäre gewesen, wenn ich die 300 Kilometer gefahren wäre? Bin ich nicht. Aber einige, mit denen ich bis Pazin unterwegs war und mindestens so gelitten hatten wie ich, haben es geschafft, in 10, 11 und unter 12 Stunden ihre Grenzen zu überwinden. Was wäre gewesen, wenn ich mit ihnen gefahren wäre? Bin ich nicht. Altersbedingte Vernunft ist keine Tugend im Rennradsport.

Istria300 ist und bleibt ein Abenteuer. Für Solisten mit starkem Charakter oder Gruppen mit Gemeinschaftsgefühl. Für sich fahren und da und dort Verbündete zu suchen kann helfen. Nur so überlebt man den Kurzurlaub in Poreč samt Radmarathon, bei dem einzig und allein der Wille zählt, die magischen 300 Kilometer in 12 Stunden zu knacken. Wir sehen uns hoffentlich wieder am 7. Oktober 2023. Mit altersbedingter Unvernunft.

#ktrchts

Immer wieder King of the Lake.

Immer wieder King of the Lake

Noch wenige Minuten bis zum Start. Neben der üblichen Nervosität und dem Bedürfnis zum x-ten Mal in die Büsche zu springen, macht sich beim besorgten Blick in den Himmel zusätzliches Unbehagen bereit. Die Frage, ob und wann es regnen würde, ist in diesem Moment beantwortet. Damit wird die begonnene Aufwärmrunde am Parkplatz abrupt unterbrochen. Wo sind noch schnell die Regenhandschuhe und die Überschuhe? Die Zeit rennt. Die Handschuhe lassen sich finden, die Überschuhe bleiben verschollen. Immer wieder King of the Lake, heißt auch immer wieder das Nervenkostüm zu strapazieren. Es gibt keine Routine. Zumindest nicht bei mir. War es im letzten Jahr der ausgefallene Powermeter, so meint es heuer das Wetter gar nicht gut. Es gibt Wetter-Apps, die können ganz schön treffsicher sein. Zum Nachteil.

Ertrinken im eigenen Laktat.

Viele Jahre lang waren wir vom spätsommerlichen Wetter des Salzkammerguts mehr als nur verwöhnt worden. Dass der Attersee gnadenlos auch anders kann, wissen wir seit heuer wieder. Eine besondere Herausforderung für das Mannschaftszeitfahren. Die Diskussion, wer vorne fährt, wird bei diesen Bedingungen heftiger als sonst diskutiert. Wer will schon bei Nässe von unten, vorne und von oben, heftigem Gegen- und Seitenwind, sowie Blätter übersätem Asphalt blind jemanden hinterherfahren? Genau. Niemand. Wir, Team Mixed Heros mit Tina, Paul, Siggi und meiner Wenigkeit, waren uns deshalb schnell über die anzuwendende Rennstrategie uneinig. Das bereits vorprogrammierte Chaos wurde potenziert.

Der King of the Lake ist Vollgas. 47 Kilometer rund um den Attersee. Ein Privileg, das seinesgleichen sucht. Auf abgesperrter Straße. Traumhaft. Genial. Sich die Straße mit Platzregen und Sturm zu teilen, ist Nebensache. Das Erlebnis bleibt vordergründig und lässt sich von einem kleinen Wintervorgeschmack nicht trüben. Das zeigen auch die Leistungen der Ersten. Kaum ein Unterschied zu den schnellen Zeiten aus dem Vorjahr. Die Ausrede Wetter kann nicht geltend gemacht werden. Schade. Denn so hatten auch wir vom Mixed Team nur zuzugeben, dass wir einfach zu langsam waren. Trotz Regen, Sturm, Kälte und Hochwasser. Der Pathos lässt grüßen.

King of the Lake 2022

Hobetten Europameisterschaft.

Was das Team rund um OK-Leiter Erwin Mayer jährlich auf die Beine stellt, kann man nicht oft genug und im höchsten Maße loben. Sich diesen internationalen Stellenwert erarbeitet zu haben, zeugt von höchster Professionalität. Und trotzdem kommt beim King of the Lake das Familiäre nicht zu kurz. Man fährt zwar zum wohl bedeutendsten Einzelzeitfahren Europas, landet dann aber bei einem Familienfest. Mit Sportgrößen, die man sonst nur aus Funk und Fernsehen kennt. Wo sonst kann man UCI World Tour Fahrer Patrick Konrad (BORA Hansgrohe) oder Ultracycling Legende (lebende Legende) Christoph Strasser so locker und lässig begegnen?

Immer wieder King of the Lake ist Motto. Wer einmal herkommt, der will nie mehr wieder am dritten Samstag im September etwas anders vorhaben müssen. Als Solist, im 4er oder auch im 10er Team. King oder Queen of the Lake zu sein, ist zwar eine inoffizielle Krönung, aber eine, die zählt. Auf die man stolz sein kann.

Vom Protzen und Klotzen.

Der King of the Lake vereint alles, was protzt und klotzt. Allein die Zeitfahrräder, die hier aufkreuzen, sind getunte und gepimpte Monster mit modernster Technik. Ein 60iger Kettenblatt ist keine Seltenheit. Hier findet man auch, was es im Handeln nie geben wird. Eigenkonstruktionen der besonderen Art. Ideen, die schneller machen. Beim King of the Lake wird nicht gekleckert.

Immer wieder King of the Lake heißt, sich um einen Startplatz früh genug zu bewerben. Das Glück auf seiner seine zu haben und auf das große Los zu hoffen. Es heißt aber auch, ein wichtiges Saisonziel zu verfolgen. Egal ob sportlicher oder touristischer Natur. Eine Reise an den Attersee zahlt sich immer aus. Es muss ja nicht nur Radfahren sein. Kann es aber. Sollte es.

Die Sehnsucht nach dem See.

Es ist wie eine gesunde Abhängigkeit. Schon allein einen Startplatz sein eigen zu wissen, befriedigt die Sehnsucht. Die Frage, ob man wieder dabei sein wird, geht einen Sommer lang die Runde. Wer die Eintrittskarte zu diesem Laktatfest bekommt, braucht kein Weihnachtsgeschenk mehr. Der Lockruf des Sees löst eine Kettenreaktion aus. Für Haudegen und Rookies zugleich. Wer am Start steht, ist bereit, sich seiner persönlichen Prüfung zu stellen. Allein gegen die Zeit. Egal, wie man es dreht und wendet. Das einzige, was zählt, ist die Durchschnittsgeschwindigkeit. Je höher diese ist, desto kürzer gestaltet sich der Arbeitstag. Kurz leiden und lange davon zehren.

Diese Sehnsucht nach dem See ist ein großartiges Geschenk. Ganz egal, ob man wie heuer im eigenen Laktat ertrinkt. Wer will schon bei Nässe von unten, vorne und von oben, heftigem Gegen- und Seitenwind, sowie Blätter übersätem Asphalt blind jemanden hinterherfahren? Genau. Niemand. Aber wenn es so ist, dann ist das auch egal. Hauptsache immer wieder King of the Lake.

Wir sehen uns 2023 wieder. Hoffentlich.

#ktrchts

European Media Cycling Contest – für einen Mund voll Piadina.

European Media Cycling Contest

„Guarda Cristian, stiamo organizzando una cosa veramente speciale.“ Mit diesen Worten hat mich Andrea schon vor über einem Jahr neugierig gemacht. Die Rede war von einem European Media Cycling Contest im Rahmen des Italian Bike Festival und der Granfondo „La Gialla Cycling.“ Quasi eine Art Europameisterschaft für JournalistInnen, BloggerInnen und InfluencerInnen. Das alles im Land der unbegrenzten Radmöglichkeiten, mit Start und Ziel im Tempel des Motorsports, dem Misano World Circuit Davide Simoncelli. Schon damals wusste ich, dass diese Idee mehr ein kulinarischer als ein sportlicher Wettkampf werden wird. Auf den Spuren von Pizza, Pasta und Piadina.

Auf den Spuren von Pizza, Pasta und Piadina.

Andrea, Nicholas und Roberto haben gerufen, gefolgt sind ihren Verlockungen am Ende nach strengem Ausleseverfahren 50 Auserwählte aus 15 Nationen. Mit Rennrad, Kameras und gespitztem Bleistift. Das Programm dicht getaktet und sportlich ambitioniert. Drei Tage Vollgas zwischen Strand, Hotel, Messegelände und den unendlichen Weiten der Emilia Romagna.

Es ist schwer, die Highlights einer Fahrradmesse mit über 500 Ausstellern und die Highlights einer Region, die für das Radfahren lebt, in wenigen Tagen herzuzeigen und zu sehen. Das wussten wir alle. Umringt von einem Media-Team, welches jeden einzelnen Moment in Film und Foto festhalten wollte, wechselten wir im Minutentakt von einem Momentum zum anderen. Gerade eben bestaunte ich noch das neueste € 13.000,- teurer Rennrad, wenige Minuten später testete ich es schon auf der eigens dafür geöffneten 4.226 Meter langen Rennstrecke über die 10 Links- und 6 Rechtskurven. Wenig später war ich schon in einem Gespräch verwickelt. Man wollte mir die Ultracycling Dolomitica schmackhaft machen. Was auch gelungen ist. Von den vielen Herstellern individueller Radbekleidung ganz zu schweigen. Natürlich habe ich mich umgesehen und schlau gemacht, was es in Sachen feinstem Zwirn so neues gibt oder geben könnte.

Italian Bike Festival

Das Italian Bike Festival ist ein echter Marktplatz. Laut, schrill, chaotisch und vor allem riesig. Sie waren alle da. Auffallend die sichtbare Dominanz der Gravelbikes. Nicht blank poliert, sondern frisch vom Abenteuer haben sie den edlen Carbon-Rennern längst die komplette Show gestohlen. Und zum Testen ging es direkt ins Gelände zwischen den langen Geraden und der Kurven inmitten der Rennstrecke.

Es blieb nicht viel Zeit, sich alles in Ruhe anzuschauen und jeder Plan, strukturiert vorzugehen, scheiterte spätestens an der nächsten Ecke. Zu viel Neues, Interessantes, Einzigartiges und Unerschwingliches stellte sich in den Weg. Dem n + 1 war schwer zu widerstehen. Nicht nur beim Rad.

Piadina Experience.

Die Piadina ist in der Emilia Romagna ein ganz besonders Heiligtum. Allein in der Piadina Expericence, eine Mischung aus Museum, Fertigungsfabrik und In-Lokal, werden täglich 100.000 Stück dieses Fladenbrotes hergestellt. Mit rein regionalen Zutaten. Weizen, Wasser und Salz. Wenig erstaunlich also, dass genau hier der erste Tag des European Media Cycling Contest ausklingen durfte. Mit Aperitivo, Rundgang, Multimediashow, Dauerhunger, Verkostung und einer anschließenden langen Nacht mit DJ-Musik. Ende gut, alle voll.

Via Romagna.

Samstag, noch ein Tag bis zum Rennen. Dem eigentlichen Grund für die Reise in die Emilia Romagna. Es war ein herrlicher, spätsommerlicher Tag. Und wir sind ausgezogen, um die Via Romagna kennenzulernen. Immer noch medial begleitet, als wären wir Stars. Ständig umringt von Paparazzi. Ein Foto hier, ein Drohnenvideo dort und zwischendurch Interviews. Davor aber galt es noch zwei Runden auf der Rennstrecke zu absolvieren. Während die einen das Cruisen auf frischem Asphalt sichtlich genossen, testeten andere ihre Laktatverträglichkeit ohne Rücksicht auf Verluste. Nach ganzen vier Runden waren die Favoriten für den European Media Cycling Contest bestimmt. Und all meine Hoffnungen auf eine Top-Platzierung unter dem jugendlichen Elan meiner Mitstreiter sowie unter meinem eigenen Übergewicht begraben. Dabei sein ist alles, aber gewinnen wäre schon schöner gewesen.


Trost fanden ich und viele andere auch zum Glück schnell bei Enio Ottaviani. Ein wirklich nettes und einladendes Plätzchen zwischen den Weinreben. Gutes Essen kann über so manche Hoffnungslosigkeit schnell hinweghelfen. Salute.

Dass der Abend auf der wohl schönsten Terrasse mit Meerblick, die Misano Adriatico zu bieten hat, endete, wäre ein eigenes Kapitel wert. Über Essen, Ausblicke, Fachgespräche, guter Musik und vor allem Renntaktik. Buona notte.

EMCC – Das Rennen

Mario Cipollini, Gianni Bugno, Claudia Chiappucci oder Maco Melandri. Klingende Namen italienischer Zweiradvergangenheit. Sie alle waren am Start der Granfondo „La Gialla“. Ich mittendrin, statt nur daheim. In erster Reihe. Ein Privileg, welches mir als persönlicher „Domestique“ von Giulia di Maio zugutegekommen ist. Giulia ist Journalistin für tuttobiciweb und Moderatorin diverser Red Bull Live-Events. Sie sollte das Rennen gewinnen. Befehl von oben. Vielleicht auch mit meiner Unterstützung. Ich hatte meine Aufgabe. Dass das Rennen einen Tag nach Giulias Geburtstag stattgefunden hat und sie deshalb bis in die frühen Morgenstunden feierte, erschwerte unseren Plan. Dabei sein ist alles?

Nein. Denn trotz widrigster Bedingungen und im Kampf gegen den Schlafmangel konnte sich Giulia gegen starke Konkurrenz aus Schweden und Slowenien durchsetzen und den European Media Cycling Contest über 100 Kilometer und 1.800 Höhenmeter gewinnen. Bei den Herren setzte sich Frederik Börk vom Magazin Rennrad souverän durch. Herzlichen Glückwunsch.

Arbeiten und Rennrad fahren.

Es war ein ganz schönes Stück Arbeit. Das Rennrad fahren selbst und über das Rennradfahren zu schreiben. Im Regen, gegen den Wind, bei glühender Hitze, auf Strade Bianche. Mit vielen Eindrücken und neuen Bekanntschaften unter KollegInnen. Betriebsspionage inklusive. Von den Besten lernen, kann nicht schaden. Ganz im Gegenteil. Danke an dieser Stelle nochmals an Andrea, Nicholas und Roberto in Zusammenarbeit mit APT Servizi und Emilia Romagna. Wir sehen uns hoffentlich 2023 wieder. Nicht jünger, aber vielleicht leichter.

#ktrchts

PS: Für alle jene, die die Region Emilia Romagna kennenlernen wollen. Hier geht’s zum Saisonabschluss nach Cesenatico.

Italian Bike Festival – Viel Rad auf einem Platz.

Italian Bike Festival

Vom Triumph von Pecco Bagnaia bis zur Invasion der neuesten Fahrräder. Samt Zubehör. Eine Woche nach dem Ducati-Festival war die nach Marco Simoncelli benannte Rennstrecke von Misano Adriatico Schauplatz des dreitägigen Italian Bike Festival, einer der größten Radmessen auf europäischen Boden. Über 500 Marken aus aller Welt füllten den Ausstellungsbereich hinter dem Fahrerlager und den Boxen. Mit weit über 1000 Fahrradmodellen, die vor Ort auch getestet werden konnten. Auf jener Strecke, über die normalerweise die stärkeren, mit Treibstoff angetriebenen Zweiräder vorbeifliegen. Auch Firmen wie Ducati waren auf der Messe zu finden. Ducati präsentierte das eigene feuerrote Elektromodell. So wie auch Yamaha, das ebenfalls die Welt der E-Bikes für sich entdeckt hat.

Radsportprominenz im Überfluss.

Parade der Weltmeister mit dem Australier Cadel Evans, dem Italiener Alessandro Ballan sowie Mario Cippollini und Paolo Bettini (Olympiasieger und Doppelweltmeister Straße). Misano geizte nicht mit Radsportprominenz vergangener Zeiten. Aber auch aktuelle Stars wie Sonny Colbrelli waren anwesend. Colbrelli kann es kaum erwarten, wieder ins Renngeschehen einzusteigen. In Erinnerung sein Sieg im Schlamm auf den Kopfsteinpflastern bei Paris Roubaix.

Viel Applaus bekam Rachele Barbieri (2x Gold und 1x Silber bei den Europameisterschaften auf der Bahn und 1x Bronze auf der Straße im vergangenen Monat im München) oder Simone Avondetto, der jüngste U23-Weltmeister im XCO-Mountainbike (Olympic Cross Country). Standesgemäß auf italineischem Rad (Wilier) und italienischen Reifen (Vittoria).

Italian Bike Festival in Misano

Probieren geht über Studieren.

Nicht nur Fahrräder, nein auch Zubehör konnte auf dem Italian Bike Festival getestet werden und bewundern. Wie zum Beispiel den von der im Bergamo ansässigen Firma Kask entworfenen Weltmeisterhelm von Filippo Ganna.

Das Italian Bike Festival in Misano Adriatico war bereits am Freitag und Samstag mit mehr als 40.000 Besuchern ein voller Erfolg. Das große Finale bildete am Sonntag die Granfondo „LaGialla„, mit Start und Ziel im Motodrom Marco Simoncelli. Mit am Start um 7.30 Uhr, Mario Cipollini, Gianni Bugno, Davide Cassani und Claudio Chiapucci. Im Rahmen der „LaGialla“ fand auch der European Media Cycling Contest (EMCC) statt. Eine inoffizielle Europameisterschaft für Rad-Blogger und Journalisten. Mit dabei klingende Namen aus vielen Nationen. Italien, Deutschland, Österreich, Holland, Frankreich, Spanien, Schweden … 100 Kilometer und 1800 Höhenmeter waren dabei zu bewältigen. Keine leichte Aufgabe, nachdem die letzten Tage kulinarischen Radsports.

#ktrchts

PS: Beim EMCC mittendrin statt nur daheim auch dieKetterechts. Bericht folgt.

Danke Ötztaler Radmarathon. Einmal und immer wieder.

Ötztaler Radmarathon

Endlich ist die Mautstelle erreicht. Die letzte Hürde ist geschafft. Das Ziel in Sölden nur mehr wenige Kilometer entfernt. Noch einmal klein machen, ducken und laufen lassen. Aber Achtung. Die Straße ist nass. Die Kurven rutschig. Immer wieder verlege ich meine Bremspunkte in den Kehren auf die wenigen trockenen Stellen. Hier noch abzufliegen, wäre eine absolute Dummheit. Es ist erstaunlich, wie gut die Beine auf einmal wieder laufen. Alle Schmerzen lösen sich auf. Der Druck auf die Pedale katapultiert mich und den Rennesel nach vorne. Sölden zieht mich magisch an. Ein Solo wird vorbereitet. Ruhm und Ehre im Ziel wollen allein genossen werden. Der Windschatten wird negiert. Nix da. Lutschen verboten. Gegenwind? Egal. Vollgas. Unterlenker. Finisher kommen mir entgehen. Menschen entlang der Straße applaudieren. Vorgeschmack auf die Einfahrt ins Ziel. Noch eine letzte Kurve. Die Zeitmatte wird überfahren. Offizielles Ende. Jetzt kommt die Kür. Ab durch den RedBull-Bogen hinein in die Menge. Zum Schluss noch irgendwas für Publikum. Genau „the Dab“ und aus. Danke Ötztaler Radmarathon. Ich bin dein Finisher.

Ötztaler Radmarathon Timmelsjoch
Super Tuck.

Ötztaler Leiden.

Zigfaches Finish. Solide und routinemäßig. Doch es wird von Jahr zu Jahr nicht einfacher. Zumindest für mich. Die Guillotine am Jaufenpass rückt immer näher. Der Spielraum wird jedes Mal enger. Das Zeitlimit ist greifbar nahe. Der Blick auf die Zwischenzeiten der letzten Jahre zeigt es schwarz auf weiß. Und das ist nicht nur den Umleitungen zu schulden. Die Zeit zehrt. Das Alter nagt. Das Gewicht bremst. Mein Gott war ich früher jung. Schnell. Und vor allem leichter. Danke Ötztaler Radmarathon, dass du mir deinen Spiegel vorhältst.

Ötztaler Übersetzungen.

Die Technik ist ein Hund. Meinen ersten Ötztaler bin ich noch mit Heldenkurbel 39/23 gekrochen. Heute reicht meine 36/32 nicht mehr aus, halbwegs schnell kurbelnd über die Berge zu kommen. Ich plagte mich und muckste mich irgendwie nach oben. Meine Stehzeiten sind nicht jene an den Labestationen. Es sind viel mehr die Versuche, in den steilsten Passagen nicht vom Rennrad zu fallen und von der Physik besiegt zu werden. Beim Anblick der leichtfüßig kletternden MitstreiterInnen weichte die anfängliche Anerkennung purem Neid, je fortgeschrittener der Radmarathon war. Wie wär’s mit einer 34/34 beim nächsten Mal?

Ötztaler Linien.

RadfahrerInnen sind gute Zeichner. Das erkennt man an den Linien, die bergab in den vielen Kurven gezirkelt werden. Teilweise. Die Kehren sind aber auch ein Tohuwabohu. Der Ötztaler Radmarathon ist nicht nur Bergfahren. Um in den Steigungen nicht zu sterben, muss man zuerst einmal die gut 100 Kilometer Abfahrten überleben. Mitten in der Meute. Wo Einlenken, Steuern und Antreten in Kurven und aus diesen nicht immer im Einklang und stilistisch einwandfrei aufeinanderfolgen. RadfahrerInnen sind nicht alle gute ZeichnerInnen. Einige mit großem Faible zu abstrakter Kunst und Linieninterpretation.

Hold the line.

Ötztaler Strategien.

Überleben. Nachdem ich es 2021 vergeigt hatte, war die Strategie für 2022 das nackte Überleben. Einfach ins Ziel kommen und in die Geschichtsbücher eingehen. Siehe letzter Punkt. Natürlich habe ich mich die Tage zuvor mit Pansy’s Marschtabelle beschäftigt und mich so „ehrlich“ wie möglich einer magischen Zielzeit zu nähern. Die zusätzlichen Kilometer und Höhenmeter der Ausgabe 2022 haben daraus aber reine und unnötige Spekulation gemacht. Danke Ötztaler Radmarathon, dass du kaum Strategien zulässt und immer einen Plan B, C, D … verlangst.

Schön auch, dass ich die Kraft gefunden habe, auch mehrmals stehenzubleiben und die Landschaft zu streamen. Man wird im Alter nicht schneller, aber klüger auf der Suche nach Ausreden, nicht mehr weiterfahren zu wollen, um eine Pause einzulegen.

Ötztaler Wetter.

Wie das Wetter werden sollte, das hatte bis zuletzt niemand gewusst. Am Ende war es aber gar nicht so schlecht, wie letztendlich vorausgesagt. Trotzdem war das Wetter am Renntag wie immer schlechter als die Tage zuvor und am Montag danach. Typisch und wie bestellt (verflucht). Dass es in der Früh Richtung Ötz trocken war, kann als Vorteil gewertet werden. Auch wenn bei nasser Fahrbahn viel mehr Vorsicht das Feld begleitet hätte. Bis Ötz war ich auf jeden Fall weder zu warm angezogen, noch musste ich frieren. Perfekt. Bis in den Anstieg zum Kühtai. Hier hat sich die Wärme zuerst und dann die Hitze an meinem Körper gestaut. Zum Leidwesen meines Flüssigkeitshaushaltes.

Kalt, warm, heiß. Danke Ötztaler Radmarathon, dass du so unberechenbar bist. Dass du den Geist forderst und Entscheidungen verlangst, die ich so nie treffen kann. Weil ich einfach nicht frieren will.

Kalt, warm, heiß … Ötztaler Wetter.

Ötztaler Weisheiten.

Immer kommt es anders als man denkt. Das ist eine ganz spezielle Weisheit beim Ötztaler Radmarathon. Diesmal durfte ich das am Weg zum Brenner erleben. Ich hatte mir vorgenommen, hier nicht zu übertreiben. Das mache ich üblicherweise. Gruppe um Gruppe ließ ich vorbeiziehen. Auch den Organisator des Istria 300. Statt weiter mit ihm zu plaudern. Mein Puls war zu hoch, meine Leistung zu niedrig. Keine gute Kombination. Irgendwas passte zu diesem Zeitpunkt nicht (mehr). Eine unerwartete Systemstörung. Ich musste unter der Europabrücke brutal anhalten. 155 Pulsschläge im Stehen? Und es wurde nicht besser. Brauchte über 10 Minuten für ein Systemreset. Bis ich mich wieder auf den Weg machte, war das halbe Feld vorbeigerauscht. Richtung Brenner war ich dann meine eigene schnelle Gruppe. Einsam und langsam.

Ötztaler Emotionen.

Es sind immer wenige Sekunden. Ganz kurze Augenblicke. Jene Momente, die mich beim Ötztaler Radmarathon für alles entschädigen. Wahrscheinlich spreche ich da für viele. Diese Momente brennen sich ein. Sie gehen mir tief unter die Haut. Sie können sogar Tränen auslösen. Und tun es auch. Emotionen, die nur der Ötztaler Radmarathon hervorzaubern kann. Den Ötztaler Radmarathon fährt man nicht. Man spürt ihn. Er fesselt dich und lässt dich erst Tage später wieder los. Danke Ötztaler Radmarathon. Einmal und immer wieder.

Ötztaler Gänsehaut.

Ötztaler Regeln.

Die einzige Regel, die auf den Ötztaler Radmarathon zutrifft, ist, dass er sich an keine Regeln hält. Noch schlimmer. Er macht seine eigenen Regeln. Heuer neu eine Section Control und eine neutralisierte Zone am Radweg nach der Labe am Brenner. Mit all den damit zusammenhängenden Verboten. Kein Pinkeln, kein Stehenbleiben, keine Pausen, maximal 25 km/h. Ich habe mich daran gehalten (Durchschnittsgeschwindigkeit in diesem Segment 18,7 km/h). Andere weniger. Viel weniger. Viel Platz für Diskussionen gab es auf dem sehr engen Fahrstreifen sowieso nicht.

Eine weitere Regel ist, dass kein Müll weggeworfen werden soll (darf). Nur in den eigens dafür gekennzeichneten Zonen. Das Ende der Wegwerfzone, dürfte vielen nicht einen Hauch von Interesse abgewonnen haben. RadfahrerInnen sind Schweinderln. Leider.

Ötztaler Premieren.

Als erster Mensch überhaupt habe ich den Ötztaler Radmarathon auf einem Rennesel beendet. Mein Rennrad aus Holz verleiht mir diesen Eintrag in die Geschichtsbücher. Es war hart, es war härter und es war einfach Ötztaler Radmarathon.

Danke Ötztaler Radmarathon. Für all diese und jenes. Du gibst mir die Motivation, Jahr für Jahr an mich zu glauben. Solange ich dich schaffe, gehöre ich nicht zum alten Eisen. Ich komme wieder. 9. Juli 2023. Sei mir gnädig.

#ktrchts

Novelle der Straßenverkehrsordnung, Nummer 33.

Novelle Straßenverkehrsordnung

Nun ist sie da. Nicht ganz. Aber ab 1. Oktober 2022 soll sie in Kraft treten. Die 33. Novelle der Straßenverkehrsordnung. Diese Novelle soll das Radfahren sicherer machen. So zumindest die Meinung (und Hoffnung) der gesetzgebenden VerkehrsexpertInnen. Viel hat man im Vorfeld darüber gehört und einiges war ziemlich vielversprechend und irgendwie logisch. Aus Sicht der Rennradfahrenden sogar überlebensnotwendig. Wie zum Beispiel der verpflichtende seitliche Abstand beim Überholen. Dann gelten 1,5 Meter im Ortsgebiet und zwei Meter im Freiland. Endlich, würde man sagen. Wir wären aber nicht in Österreich, gäbe es da nicht wieder Ausnahmen und zusätzliches Konfliktpotential.

Neue Regeln – halbe Sachen.

Bisher galt beim Überholen eine situationsbezogene Regelung. Wobei Regelung hier das falsche Wort ist. Sagen wir eine Empfehlung. Mindestabstand halber Meter plus Hälfte der gefahrenen Geschwindigkeit in Zentimeter. Sollte man in der Fahrschule zumindest einmal gehört haben? Was in der Praxis aber kaum wahrnehmbar ist. Den Seitenspiegel so knapp wie möglich am zu überholenden Radfahrer vorbeizubringen, war und ist ein beliebter Volkssport.

Ab 1. Oktober heißt es aber „fix“ Abstand halten. 1, 5 Meter im Ortsgebiet und zwei Meter im Freiland. Eine klare und einfach Regelung. Juhu. Könnte man meinen. Der Hund ist aber bekanntlich immer im Detail begraben. Denn die 1,5 bzw. zwei Meter seitlicher Abstand gelten bei einer Geschwindigkeit ab 30 km/h. Der Mindestabstand kann also verringert werden, wenn langsamer als 30 km/h gefahren wird.

Regeln mit Tücken.

Was heißt jetzt verringert? Um wie viel? Und schon haben wir wieder viel Platz für persönliche Interpretationen. Konfliktpotential inklusive. Warum kompliziert, wenn es einfach auch gehen würde?

Beispiel 1: Ich fahre mit 33 km/h auf einem 2,5 Meter breiten Güterweg. Freiland. Ein Auto von hinten will überholen. Mindestabstand ab 30 km/h wären zwei Meter. Das geht sich in diesem Fall nicht aus. Was jetzt? Interessant. In der Praxis wird sich der Autofahrer wohl ungeniert vorbeidrängen. Unerlaubt.

Beispiel 2: Zweispurige Landstraße. Freiland. Ich fahre wieder mit mehr als 30 km/h dahin. Es gibt einiges an Gegenverkehr. Autos von hinten dürften in diesem Fall auch nicht überholen. Wie lange sie sich hinten anstellen werden, bis der Geduldsfaden reißt? Verbotenerweise wird auch hier überholt werden.

Beispiel 3: Ich fahre diesmal mit weniger als 30 km/h dahin. Sagen wir 27 km/h. Freiland. Wieder einiges an Gegenverkehr. Ein Auto nähert sich von hinten. Um überholen zu können, fährt es auch weniger als 30 km/h. Nehmen wir an mti 28 oder 29 km/h. Der Mindestabstand von 2 Metern kann verringert werden. Das Überholmanöver dauert deshalb eine gefühlte Ewigkeit. Dabei ist das Auto kaum 20 bis 30 cm seitlich entfernt. Korrekt, aber gefährlich. Oder? Gilt auch auf einem 2,5 Meter breiten Güterweg. Von mir aus auch 3 Meter breit.

Wo bleibt die erhoffte Sicherheit?

Die 1,5 und 2 Meter seitlicher Abstand sind zu begrüßen. Die Ausnahmen verkomplizieren aber alles wieder. Diskussion über Zentimeter und Geschwindigkeiten werden wohl auf der Tagesordnung stehen. Eine klare und immer währende Regelung wäre eindeutig die bessere Lösung gewesen. Ohne wen und aber.

Noch viel besser aber sind und bleiben jedoch der gegenseitige Respekt und die gegenseitige Wertschätzung. Von AutofahrerInnen zu Radfahrerinnen. Und umgekehrt. Aber das wäre jetzt eine ganz andere Geschichte und eine ganz andere Welt.

#ktrchts

Race Around Niederösterreich.

Race Around Niederösterreich

Es muss nicht immer Radfahren sein. Auch wenn es das sein sollte. Ein Ultracycling-Rennen hinterm Steuer eines Betreuerautos hatte auch seine Reize. Einmal rund um Niederösterreich. 600 km und knapp 6.000 Höhenmeter. Start und Ziel in Weitra. So zumindest der Plan von Andi. Und weil das Ganze allein nicht zu meistern ist (offiziell), musste eine Crew dabei sein. Der Autor war ein Member davon und somit Teil des Race Around Niederösterreich 2022. Voll Rookie. Eine Premiere. Führerschein B, keine Erfahrung mit Automatikgetriebe, dafür mäßige Streckenkenntnisse. 2020 ging es schon einmal Unsupported rund um Niederösterreich. In zwei Tagen aufgeteilt. Beste Voraussetzungen also.

Artgerechte Anreise zum Ultracycling.

Man muss Bedingungen stellen, wenn man sich überreden lassen will. Kompromisse sind die Basis einer guten Freundschaft. Die Anreise nach Weitra musste also artgerecht mit dem Rennrad erfolgen. Als Trostplaster für die Team-Dienste. Mindestens 24 Stunden Rennrad-Entzug mitten Rennradfahrenden wäre sonst nicht auszuhalten gewesen. Von Eisenstadt weg. 210 wellige, von permanentem Gegenwind geprägten Kilometern. Insgesamt knapp 2000 Höhenmeter. Ein Drittel der Race Around Niederösterreich Distanz. Als Vorprogramm für einen Tag hinterm Steuer. Deal war Deal. Die luxuriöse Nacht im Hotel Hausschachen eine nicht erwartete Draufgabe. Zimmer so groß wie eine Kleinwohnung und ein Seeblick mit integriertem Urlaubsfeeling haben die Anspannung auf das bevorstehende Abenteuer in Schach gehalten. Danke Andreas.

Das Race Around Niederösterreich ist wie das Race Around Austria. Nur viel kleiner und kürzer. Logisch, dass die Vorbereitung etwas weniger Zeit in Anspruch nimmt. Viele Teilnehmer reisen sogar erst am Renntag an. Holen sich die Startnummer und fangen an, gemütlich das Auto mit allen notwendigen Pflichtkleber zu bemalen. Fahrräder inklusive. Andi und Team haben das bereits am Vormittag erledigt. Ob nach Plan oder improvisiert, muss erst eruiert werden. Es war wohl eher nach Gefühl. Die Position der Kleber am Auto sagt alles. Symmetrie sieht anders aus. Das Team rund um Ariane und eben dem Autor haben sich echt bemüht. Auch um den Glanz der Räder haben sie sich gekümmert. Zuerst wurden sie ordentlich geputzt und dann mit Rückstrahlern in zwei Farben betupft. Wahlweise gelb und weiß. Wie nach Reglement verlangt. Pro Laufrad 4 auf jeder Seite, zweimal Kurbelarm dann Sattelstütze, Gabel und Sattelstrebe.

Ultracyclling Vorbereitung

Auf die Plätze, fertig, rund um Niederösterreich.

Seitenwechsel. Vom Fahrer im Scheinwerferlicht zum Fahrer mit Scheinwerferlicht. Was am Rennrad nicht gelungen ist (einschlafen – zum Glück) wurde befürchtet. Vorschlafen also bis zum Start, der sich zeitlich etwas in die Länge gezogen hat. Fast wie warten auf das Christkind. Doch pünktlich um 1812 Uhr, ging die Startnummer 62 ins Rennen. Pacecar hinterher. Am Beifahrersitz Ariane mit allen notwendigen Informationen aus dem Prerace-Youtube-Briefing. Perfekt vorbereitet. Moment? Strecke und Track wurden nur wenige Minuten vorher auf ein Tablet gespielt. Als Plan B stand ein Garmin-Gerät in Lauerstellung und dank Rene auch noch ein Sicherheitsupdate in Form der OsmAndMaps samt Offline Navigation. Also doch Perfektion. Last Minute.

Dank Garmin wusste die Crew über die Leistung von Andi Bescheid. Der erste Berg vor Gmünd stimmte das Team irgendwie nachdenklich. Die Vermutung, dass 340 Watt vielleicht zu viel sein könnten, hat sich im Nachhinein bewahrheitet. Die Nacht war aber noch lang. Ruhe bewahren und Gummibärchen essen.

Der Wind war lästig und teilweise günstig, sodass Andi eine gute Grundgeschwindigkeit halten konnte. Das hat das Hinterherfahren erleichtert. Zügig wurden auch die ersten Fahrer mit Bravour und höchster Professionalität überholt und nicht touchiert. Als hätte man bis jetzt nichts anderes gemacht. Langsam wurde es dann dunkel und am Ende war die Nacht da. Gegen 22 Uhr musste der erste Kaffee dran glauben. Auch der Fahrer, Autor und Italiener. Latte Espresso laktosefrei – ein Billa Fehlkauf auf allen Ebenen. Gute Nacht.

LaLeLu. Nur der Mann am Steuer schaut zu.

Durchhalten. Team und Fahrer hatten nur diese eine Devise und diesen einen Wunsch. Die Gefahr der Langweile, groß. Monoton war sowieso alles schon. Offene Fenster für die frische Luft und laute Musik fürs Wachbleiben. Dank Freitagnacht, dröhnte Discomusik mit über 130 Beats per Minute durch die Bose-Boxen. Das Waldviertel und das Marchfeld bieten in der Nacht jetzt nicht unbedingt Sehenswertes. Nur die einer oder andere Erinnerung in Form von „da war ich schon“ lockerte das monotone Hinterherfahren auf. Seit 2000 Uhr herrschten ja die Nachtfahrtregeln. Also Fahrer immer im Scheinwerferlicht des Pacecar. Stoppt das Pacecar, muss der Fahrer auch stoppen. Lulu-Pause also ausgeschlossen. Bis 0530 Uhr. Außer Andi hätte Bedürfnisse. Zum Glück hatte er diese und die Crew durfte sich der überschüssigen Flüssigkeit entleeren. Die erste Packung Gummibärchen war zu diesem Zeitpunkt schon fertig. Der Vorrat an Salametti wurde angezapft. Das gesamte Proviant im Auto musste ja auch irgendwie verzehrt werden. Zumindest die 15 Bananen.

Die Zeit verging und die Augen blieben erfreulicherweise offen. Die gähnfreien Abschnitte wurden aber immer kürzer. Auch Andi hatte schon zu kämpfen. Dank der fehlenden Kommunikation mit dem Fahrer (auf eigenem Wunsch) konnte das Team nur vermuten, was regelmäßige Yoga-Übungen am Rad zu bedeuten hätten. Ansonsten waren die ersten Nachtstunden ohne besonderen Vorkommnisse. Nehmen wir einen übergroßen Mähdrescher raus, den Andi überholt hat, das Pacecar aber nicht, oder einen Hasen, der Andi fast zu Fall gebracht hätte. Glück, dass wenige Sekunden vorher auf Befehl von Ariane das Fernlicht gezündet wurde. Fernlicht ist auch das beste Stichwort, wenn es darum geht, Dinge aufzuarbeiten und zu verbessern. Fernlicht geben und Fernlicht nehmen waren nicht immer synchron mit dem Gegenverkehr und den Ortsdurchfahrten. Nachträgliche Zeitstrafen sind nicht zu befürchten.

Schlafen, aber trotzdem wach bleiben.

Crew Mitglieder haben eine heikle Aufgabe. Allen voran, den Fahrer zu schützen, zu begleiten und mit dem zu versorgen, was er gerade für notwendig erachtet. Erinnerungen zu essen und zu trinken wurden via WhatsApp-Nachricht auf den Wahoo diktiert, während zur Neige gegangene Essensrationen über das Fenster serviert wurden. Andreas bekam, was ihm fehlte und wonach ihm gelüstete. Auch eine Pause. Die erste längere gab es bei km 244. Kurz davor hatte Christoph Strasser, Andreas nicht nur eingeholt, sondern regelrecht stehen lassen. Faszinierend, dieses Uhrwerk an Tritten und Bündel an Kraft kurz live zu sehen. Mit Demut und richtig viel seitlichem Abstand vom Autos aus. Die erste längere Pause wurde vom Team genutzt, im Auto kurz die Augen zu schließen und einen Powernap zu machen. Der Autor kann sich erinnern, geschlafen zu haben ober trotzdem wach gewesen zu sein. Ganze 4 Teams sind in den wenigen Minuten vorbeigefahren. Diese wurden nicht nur gehört, sondern auch aufgrund der gelb blinkenden Lichtern am Heck gesehen. Im Halb-, Viertel oder sogar Sekundenschlaf.

Christop Strasser #ranbike

Nach etwa 20 Minuten hatte Andi wieder Lust und Laune sich aufs Rad zu setzen. Im Anflug auf Hainburg und die Donau. Möglicherweise hat der bevorstehende Heimvorteil rund um Bruck an der Leitha Andis Lebensgeister geweckt. Wir schreiben Kilometer 277 und kurz nach Bruck an der Leitha bittet Andreas dann um eine weitere Pause. Ganz 30 Minuten lang herrschte im Pacecar Stille. Nur Andis Atem war zu hören. Und die ersten Vögel. Es ist 0400 Uhr, als leichtes Morgengrauen am Horizont zu erkennen ist und das Abenteuer weitergehen kann. Noch 321 Kilometer und 2/3 der Höhenmeter. Der Weg zum Semmering wird hart werden. Doch es kam nicht dazu.

Alles hat sein Ende.

Das Team erreicht nach der Weiterfahrt mit Andi Kilometer 284 als ein eindeutiges Handzeichen das Ende des Abenteuers Race Around Niederösterreich besiegelte. Nicht einmal ein früh aufgestandener Freund konnte Andi dazu bewegen, weiterzufahren. Die Stopptaste am Wahoo war somit das offizielle aus. DNF.

Was folgte, war die Heimfahrt nach Weitra über den direktesten Weg. Nicht kurz, nur direkt. Im Pacecar herrschte Stille. Alles schlief. Außer der Fahrer, war wach, nach 11 statt 24 Stunden am Steuer. Als Rookie gestartet und als Rookie wieder heim. Auch ein DNF. Trotzdem war es lehrreich, intensiv, spannend und ermüdend. Fast anstrengender als das Radfahren selbst. Mit Ringen um die Augen gings zurück nach Eisenstadt und am Nachmittag wieder aufs Rad. Es muss nicht immer Radfahren sein. Aber wenn man nicht Auto fahren muss, dann darf man aufs Rennrad. Nein, muss man.

#ktrchts