Urlaub machen und Rennrad fahren. Der Radsommer 2022 hätte nicht besser beginnen können. Eine traumhafte Rennradwoche in der Emilia Romagna ist soeben zu Ende gegangen. Mit vielen schönen Erinnerungen, einigen Kilos Mehrgewicht und ersten nennenswerten Bräunungsstreifen an Beinen und Armen. Rennrad fahren in Riccione war ein Revival italienischer Radsporttradition und eine Zeitreise zurück zum Ursprung aller modernen Rennradreisen. Begriffe wie Trainingslager oder Radsportwoche wurden vor vielen Jahren genau hier an der mittleren Adriaküste geboren. Lang ist das her. Das damalige Flair ist aber heute noch zu spüren. Vieles ist rund um Riccione wie damals, angepasst an modernere Gegebenheiten. Die „Ciclisti“ sind im Frühjahr nach wie vor willkommene Gäste und die Vorboten der sonnenhungrigen Sommertouristen.
Dabei ist es nicht nur die romagnolische Küche, die uns magisch angezogen hat. Es sind die vielen Möglichkeiten Urlaub zu machen und Rennrad zu fahren. Das Rennradfahren in Riccione ist und bleibt eine sportliche und kulturelle Reise ins Schlaraffenland Europas.
Höhenmeter schrubben. Zwischen Himmel und Erde.
Das einzig Flache hier in der Gegend ist der kilometerlange Strand und die Straße, die zwischen großen Hotels auf der einen und noch größere Hotels auf der anderen Seite entlang führt. Der Rest ist ein ständiges Auf und Ab. Zwischen Himmel und Erde. Von null auf 200, 300 bis hinauf auf 1.400 oder sogar 1.700 Metern Meereshöhe. Ein ständiges Wechselspiel von kurzen Auffahrten und ebenso langen Abfahrten. Nicht umsonst haben hier in der Gegend mindestens 50 % der Ortschaften ein Monte vor dem Namen. Montecolombo, Montescudo, Montefeltrio, Montegridolfo, Monte Carpegna, Monte Nerone, Montegiardino, Montefiore …
Ein Paradies für Rennradfahrer*innen, die sich nicht auf langweiligen Hauptstraßen herumtreiben müssen. Denn wo hier in der Gegend hoch über einem Hügel eine Kirche oder ein Turm thront, da gibt es auch immer eine Straße, die dorthin führt. Bergauf. Man kann (muss) hier Höhenmeter schrubben – wie eine Teilnehmerin der Rennradreise nach Riccione es auf sächsisch ungewohnt formuliert hat. Übersetzt heißt das ganz einfach: Gute Beine und gute Bremsen. Aber keine Angst, die „colline“ hier machen keine Angst. Im Gegensatz: Sie ziehen magnetisch an. Oben auf der Piazza gibt es Espresso für € 1,10 oder einen Cappuccino für € 1,60. Für alle, die Hunger haben, sei eine Piadina zu empfehlen. Mit Prosciuttto Crudo, Rucola und am besten mit Stracchino. Außerdem sind die Auffahrten zu den vielen wunderschön gelegenen Borghi sehr gut in Schuss, weil der Giro d’Italia in dieser Gegend regelmäßig zu Besuch ist.
Via Panoramica. Ein Pumptrack für Rennradfahrer*innen.
Es gibt viele Küstenstraßen und Küstenklassiker. Aber es gibt nur eine Via Panoramica von Gabbice Mare, über Gabbice Monte, Fiorenzuola di Focara nach Pesaro. Am besten, man macht dieses Stück Straße gleich in beide Richtungen. An einem Tag. Dann kann man das Besondere dieses besonderen Stücks Emilia Romagna doppelt genießen. Ein Ruhetag eignet sich dafür perfekt. 70 km und knapp 1.000 Höhenmeter, die man aber kaum spürt. Versprochen. Weil sie abgesehen von den ersten zwei, drei Kilometern von jeder Seite aus, kaum wahrnehmbar sind. Die Via Panoramica ist eine Summe von Wellen, die dich, mit dem richtigen Schwung genommen, in einen Flow versetzen. Ein überdimensionaler Pumptrack, der nach dem großen Kettenblatt aka Kette rechts schreit. Sonntags ist dieses Vergnügen sogar autofrei. Von 0630 Uhr bis 1230 Uhr. Aber auch unter der Woche verlieren sich hier kaum Autofahrer. Diese bevorzugen die schnelleren Verbindungen am Fuße der Erhebung.
Und täglich schlemmert das Murmeltier.
Das ewige Dilemma. Essen wir ordentlich, weil wir viel Rennrad fahren oder fahren wir Rennrad, damit wir ordentlich essen können? Diese Frage war in der Woche Rennradurlaub in Riccione schwer zu beantworten. Weil es keine Zeit gab, darüber nachzudenken. Essen und Rennradfahren wurden nur durch den notwendigen Schlaf unterbrochen. Kein Wunder bei der angebotenen Auswahl im ausgesuchten Hotel. Diätpläne konnten keine eingehalten werden. Dazu hätte man einen zu starken Willen gebraucht. Alles war selbstgemacht. Ganz egal ob Gnocchi, Tagliatelle, Orecchiette oder Penne. Ob Sugo al Pomodoro, Ragù oder eine andere hauseigene Kreation. Dazu noch die vielen Antipasti und natürlich die wunderbaren Süßspeisen. Die Küche hat täglich nur ihr Bestes aufgetischt.
Die Emilia Romagna ist bekannt für ihre Küche, Rennradfahrer*innen für ihren Hunger. Treffen beide aufeinander, entsteht ein nicht enden wollender natürlicher Kreislauf. Und dann stellt sich wieder diese eine Frage.
Die guten alten Rennradzeiten.
„Il Carpegna mi basta“ – der Carpegna reicht mir. Marco Pantanis Worte zieren einige der 22 Kehren hinauf zum Cippo. Auf sechs Kilometern müssen dabei über 600 Höhenmeter bewältigt werden. Dieser Berg ist ein Monument. Die Anfahrt ein Kreuzweg, die Rückkehr ins Hotel ein Triumphzug. Der Cippo ist zuerst der Alptraum. Speziell dann, wenn man (der Autor höchst persönlich) schon Tage davor Angst und Schrecken verbreitet. Am Weg hinauf schreibt dann jeder seine eigene Heldengeschichte. Jede Kehre schließt ein Kapitel und öffnet ein neues. Hier herauf büßt man so manche Sünde. Marco Pantani ist einst von Cesenatico regelmäßig auf den Cippo gefahren. Ohne Pulsmesser und ohne Powermeter. Radsport pur. Die guten alten Rennradzeiten. Nicht zu vergleichen mit jenen von heute. 16 Minuten und 51 Sekunden hat Tadej Pogačar von Kehre 1 bis Kehre 22 gebraucht. Das sind 16,7 km/h im Schnitt. Watt und Puls unbekannt.
Der perfekte Rennradurlaub.
Für Radsport-Nostalgiker sind Riccione und die Emilia Romagna der perfekte Rennradurlaub. Wo sonst wird man am Morgen beim Aufbrechen vom Chef des Hauses in perfektem Italo-Style persönlich verabschiedet und nach der Tour ebenso gestylt wieder empfangen? Oder wo sonst scheint die Morgensonne durch das Fenster aufs Bett und somit direkt ins Herz und in die Seele?
Rennrad fahren in Riccione ist vielleicht nicht so cool, nice oder angesagt, wie eine Woche auf Malle. Die Emilia Romagna steht der Baleareninsel aber um nichts nach. Sie toppt das Radsportmekka sogar um einiges. Einfach einmal hinfahren, einlassen und ausprobieren. Wir kommen wieder. 1. bis 8. April 2023. Und dazwischen geht’s in zum Monte Grappa, in die Dolomiten, zum Stilfser Joch und nach Cesenatico. Urlaub machen und Rennrad fahren.
Riccione Highlights
Hotel: Fedora Bike Hotel
Touren: Alles mit einem Monte davor, San Marino, San Leo, Verrucchio, Serra San Marco, Via Panoramica, Urbino, Cippo della Carpegna, Passo del Grillo, Gola del Furlo …
Guide: Cristian aka dieKetterechts für die perfekte Übersetzung
Reisezeit: März – Mai, September – Oktober
ktrchts
#machurlaubfahrrennrad