Es muss nicht immer Radfahren sein. Auch wenn es das sein sollte. Ein Ultracycling-Rennen hinterm Steuer eines Betreuerautos hatte auch seine Reize. Einmal rund um Niederösterreich. 600 km und knapp 6.000 Höhenmeter. Start und Ziel in Weitra. So zumindest der Plan von Andi. Und weil das Ganze allein nicht zu meistern ist (offiziell), musste eine Crew dabei sein. Der Autor war ein Member davon und somit Teil des Race Around Niederösterreich 2022. Voll Rookie. Eine Premiere. Führerschein B, keine Erfahrung mit Automatikgetriebe, dafür mäßige Streckenkenntnisse. 2020 ging es schon einmal Unsupported rund um Niederösterreich. In zwei Tagen aufgeteilt. Beste Voraussetzungen also.
Artgerechte Anreise zum Ultracycling.
Man muss Bedingungen stellen, wenn man sich überreden lassen will. Kompromisse sind die Basis einer guten Freundschaft. Die Anreise nach Weitra musste also artgerecht mit dem Rennrad erfolgen. Als Trostplaster für die Team-Dienste. Mindestens 24 Stunden Rennrad-Entzug mitten Rennradfahrenden wäre sonst nicht auszuhalten gewesen. Von Eisenstadt weg. 210 wellige, von permanentem Gegenwind geprägten Kilometern. Insgesamt knapp 2000 Höhenmeter. Ein Drittel der Race Around Niederösterreich Distanz. Als Vorprogramm für einen Tag hinterm Steuer. Deal war Deal. Die luxuriöse Nacht im Hotel Hausschachen eine nicht erwartete Draufgabe. Zimmer so groß wie eine Kleinwohnung und ein Seeblick mit integriertem Urlaubsfeeling haben die Anspannung auf das bevorstehende Abenteuer in Schach gehalten. Danke Andreas.
Das Race Around Niederösterreich ist wie das Race Around Austria. Nur viel kleiner und kürzer. Logisch, dass die Vorbereitung etwas weniger Zeit in Anspruch nimmt. Viele Teilnehmer reisen sogar erst am Renntag an. Holen sich die Startnummer und fangen an, gemütlich das Auto mit allen notwendigen Pflichtkleber zu bemalen. Fahrräder inklusive. Andi und Team haben das bereits am Vormittag erledigt. Ob nach Plan oder improvisiert, muss erst eruiert werden. Es war wohl eher nach Gefühl. Die Position der Kleber am Auto sagt alles. Symmetrie sieht anders aus. Das Team rund um Ariane und eben dem Autor haben sich echt bemüht. Auch um den Glanz der Räder haben sie sich gekümmert. Zuerst wurden sie ordentlich geputzt und dann mit Rückstrahlern in zwei Farben betupft. Wahlweise gelb und weiß. Wie nach Reglement verlangt. Pro Laufrad 4 auf jeder Seite, zweimal Kurbelarm dann Sattelstütze, Gabel und Sattelstrebe.
Auf die Plätze, fertig, rund um Niederösterreich.
Seitenwechsel. Vom Fahrer im Scheinwerferlicht zum Fahrer mit Scheinwerferlicht. Was am Rennrad nicht gelungen ist (einschlafen – zum Glück) wurde befürchtet. Vorschlafen also bis zum Start, der sich zeitlich etwas in die Länge gezogen hat. Fast wie warten auf das Christkind. Doch pünktlich um 1812 Uhr, ging die Startnummer 62 ins Rennen. Pacecar hinterher. Am Beifahrersitz Ariane mit allen notwendigen Informationen aus dem Prerace-Youtube-Briefing. Perfekt vorbereitet. Moment? Strecke und Track wurden nur wenige Minuten vorher auf ein Tablet gespielt. Als Plan B stand ein Garmin-Gerät in Lauerstellung und dank Rene auch noch ein Sicherheitsupdate in Form der OsmAndMaps samt Offline Navigation. Also doch Perfektion. Last Minute.
Dank Garmin wusste die Crew über die Leistung von Andi Bescheid. Der erste Berg vor Gmünd stimmte das Team irgendwie nachdenklich. Die Vermutung, dass 340 Watt vielleicht zu viel sein könnten, hat sich im Nachhinein bewahrheitet. Die Nacht war aber noch lang. Ruhe bewahren und Gummibärchen essen.
Der Wind war lästig und teilweise günstig, sodass Andi eine gute Grundgeschwindigkeit halten konnte. Das hat das Hinterherfahren erleichtert. Zügig wurden auch die ersten Fahrer mit Bravour und höchster Professionalität überholt und nicht touchiert. Als hätte man bis jetzt nichts anderes gemacht. Langsam wurde es dann dunkel und am Ende war die Nacht da. Gegen 22 Uhr musste der erste Kaffee dran glauben. Auch der Fahrer, Autor und Italiener. Latte Espresso laktosefrei – ein Billa Fehlkauf auf allen Ebenen. Gute Nacht.
LaLeLu. Nur der Mann am Steuer schaut zu.
Durchhalten. Team und Fahrer hatten nur diese eine Devise und diesen einen Wunsch. Die Gefahr der Langweile, groß. Monoton war sowieso alles schon. Offene Fenster für die frische Luft und laute Musik fürs Wachbleiben. Dank Freitagnacht, dröhnte Discomusik mit über 130 Beats per Minute durch die Bose-Boxen. Das Waldviertel und das Marchfeld bieten in der Nacht jetzt nicht unbedingt Sehenswertes. Nur die einer oder andere Erinnerung in Form von „da war ich schon“ lockerte das monotone Hinterherfahren auf. Seit 2000 Uhr herrschten ja die Nachtfahrtregeln. Also Fahrer immer im Scheinwerferlicht des Pacecar. Stoppt das Pacecar, muss der Fahrer auch stoppen. Lulu-Pause also ausgeschlossen. Bis 0530 Uhr. Außer Andi hätte Bedürfnisse. Zum Glück hatte er diese und die Crew durfte sich der überschüssigen Flüssigkeit entleeren. Die erste Packung Gummibärchen war zu diesem Zeitpunkt schon fertig. Der Vorrat an Salametti wurde angezapft. Das gesamte Proviant im Auto musste ja auch irgendwie verzehrt werden. Zumindest die 15 Bananen.
Die Zeit verging und die Augen blieben erfreulicherweise offen. Die gähnfreien Abschnitte wurden aber immer kürzer. Auch Andi hatte schon zu kämpfen. Dank der fehlenden Kommunikation mit dem Fahrer (auf eigenem Wunsch) konnte das Team nur vermuten, was regelmäßige Yoga-Übungen am Rad zu bedeuten hätten. Ansonsten waren die ersten Nachtstunden ohne besonderen Vorkommnisse. Nehmen wir einen übergroßen Mähdrescher raus, den Andi überholt hat, das Pacecar aber nicht, oder einen Hasen, der Andi fast zu Fall gebracht hätte. Glück, dass wenige Sekunden vorher auf Befehl von Ariane das Fernlicht gezündet wurde. Fernlicht ist auch das beste Stichwort, wenn es darum geht, Dinge aufzuarbeiten und zu verbessern. Fernlicht geben und Fernlicht nehmen waren nicht immer synchron mit dem Gegenverkehr und den Ortsdurchfahrten. Nachträgliche Zeitstrafen sind nicht zu befürchten.
Schlafen, aber trotzdem wach bleiben.
Crew Mitglieder haben eine heikle Aufgabe. Allen voran, den Fahrer zu schützen, zu begleiten und mit dem zu versorgen, was er gerade für notwendig erachtet. Erinnerungen zu essen und zu trinken wurden via WhatsApp-Nachricht auf den Wahoo diktiert, während zur Neige gegangene Essensrationen über das Fenster serviert wurden. Andreas bekam, was ihm fehlte und wonach ihm gelüstete. Auch eine Pause. Die erste längere gab es bei km 244. Kurz davor hatte Christoph Strasser, Andreas nicht nur eingeholt, sondern regelrecht stehen lassen. Faszinierend, dieses Uhrwerk an Tritten und Bündel an Kraft kurz live zu sehen. Mit Demut und richtig viel seitlichem Abstand vom Autos aus. Die erste längere Pause wurde vom Team genutzt, im Auto kurz die Augen zu schließen und einen Powernap zu machen. Der Autor kann sich erinnern, geschlafen zu haben ober trotzdem wach gewesen zu sein. Ganze 4 Teams sind in den wenigen Minuten vorbeigefahren. Diese wurden nicht nur gehört, sondern auch aufgrund der gelb blinkenden Lichtern am Heck gesehen. Im Halb-, Viertel oder sogar Sekundenschlaf.
Nach etwa 20 Minuten hatte Andi wieder Lust und Laune sich aufs Rad zu setzen. Im Anflug auf Hainburg und die Donau. Möglicherweise hat der bevorstehende Heimvorteil rund um Bruck an der Leitha Andis Lebensgeister geweckt. Wir schreiben Kilometer 277 und kurz nach Bruck an der Leitha bittet Andreas dann um eine weitere Pause. Ganz 30 Minuten lang herrschte im Pacecar Stille. Nur Andis Atem war zu hören. Und die ersten Vögel. Es ist 0400 Uhr, als leichtes Morgengrauen am Horizont zu erkennen ist und das Abenteuer weitergehen kann. Noch 321 Kilometer und 2/3 der Höhenmeter. Der Weg zum Semmering wird hart werden. Doch es kam nicht dazu.
Alles hat sein Ende.
Das Team erreicht nach der Weiterfahrt mit Andi Kilometer 284 als ein eindeutiges Handzeichen das Ende des Abenteuers Race Around Niederösterreich besiegelte. Nicht einmal ein früh aufgestandener Freund konnte Andi dazu bewegen, weiterzufahren. Die Stopptaste am Wahoo war somit das offizielle aus. DNF.
Was folgte, war die Heimfahrt nach Weitra über den direktesten Weg. Nicht kurz, nur direkt. Im Pacecar herrschte Stille. Alles schlief. Außer der Fahrer, war wach, nach 11 statt 24 Stunden am Steuer. Als Rookie gestartet und als Rookie wieder heim. Auch ein DNF. Trotzdem war es lehrreich, intensiv, spannend und ermüdend. Fast anstrengender als das Radfahren selbst. Mit Ringen um die Augen gings zurück nach Eisenstadt und am Nachmittag wieder aufs Rad. Es muss nicht immer Radfahren sein. Aber wenn man nicht Auto fahren muss, dann darf man aufs Rennrad. Nein, muss man.
#ktrchts